■ Mit Kapitalverflechtungen auf du und du: Rätesystem
Berlin (taz) – Mehr Licht ins Dunkel der Kapitalverflechtungen von Großkonzernen will der Wirtschaftsprofessor Ekkehard Wenger bringen. Erster Erfolg: Das Berliner Kammergericht entschied vorgestern, daß Siemens seine Beteiligungen an anderen deutschen Aktiengesellschaften offenlegen muß. Jeder Aktionär, so die Richter, muß sich ein Bild von der Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens, in das er sein Geld investiert hat, machen können.
Der Würzburger Professor prangert regelmäßig auf den Aktionärs-Hauptversammlungen großer Konzerne deren Geheimniskrämerei an. Zusammen mit dem „Verein zur Förderung der Aktionärsdemokratie“ will er das Kartell von Überkreuzbeteiligungen der Großunternehmen offenlegen. Klagen laufen unter anderem auch gegen die Allianz, die Deutsche und die Dresdner Bank. Im Fall der Allianz-Versicherung ist beispielsweise bekannt, daß 75 Prozent ihres Kapitals in den Händen anderer Großkonzerne liegt. Auch personell sind die Konzerne eng miteinander verwoben. Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper ist nebenher auch noch Aufsichtsratsvorsitzender bei Daimler-Benz, Aufsichtsrat ist er unter anderem auch bei den Energieversorgern RWE und Veba – und verbindet so zwei direkte Konkurrenten. Als die Kandidaten für den RWE-Aufsichtsrat ihre sonstigen Aufsichtsratsposten offenlegen sollten, taten sich die meisten bei der Aufzählung sichtlich schwer.
Private Aktionäre, die ihr eigenes Geld anlegen, haben bei Unternehmensentscheidungen nichts zu melden. Wenger malt gar das Bild eines Rätesystems praktisch nicht absetzbarer Konzernfunktionäre an die Wand. Diese „Sowjetisierung der deutschen Wirtschaft“ hätten die Vorstände und Aufsichtsräte aber bisher zu verheimlichen versucht.
Laut bundesdeutschem Aktienrecht müssen Unternehmen nur Beteiligungen von über 20 Prozent offenlegen. Eine EG- Richtlinie, die die Offenlegungspflicht bereits ab 10 Prozent vorschreibt, hätte schon 1991 in das bundesdeutsche Recht aufgenommen werden sollen. Geschehen ist in Bonn jedoch nichts. Wenn jetzt Einblicke in die bisher verschleierten Beteiligungsverflechtungen möglich werden, hofft der Kämpfer wider die unkontrollierte Herrschaft der Vorstände, daß öffentlicher Druck zu einer Änderung der Gesetze führen wird. So sollen Überkreuzverflechtungen künftig verboten werden, oder zumindest sollen in solchen Fällen die Konzernlenker keine Stimmrechte erhalten.
Daß jetzt gerade in Berlin eine Entscheidung zuungunsten eines Konzerns erging, hält Wenger für keinen Zufall. In Frankfurt etwa seien schon viel früher ähnliche Klagen eingereicht worden. Doch dort stünden die Gerichte offenbar unter dem Einfluß der großen Bankkassen: Der Präsident des Oberlandesgerichtes in Frankfurt zum Beispiel steht Wenger zufolge als Treuhänder auch auf der Gehaltsliste der Frankfurter Hypothekenbank. Diese ist wiederum eine Tochter der Deutschen Bank – eines der Unternehmen, gegen die ein Verfahren anhängig ist. Nicola Liebert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen