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■ Mit Atom-Durchhalteparolen auf du und duLebendes Vorbild

Berlin (taz) – „Es gab keinen lauten Krach, aber die ganze Station hat sich erst nach rechts und dann nach links geneigt.“ Sergej Akulinin war nur 400 Meter vom Ort des Geschehens entfernt, als am 26. April 1986 der Reaktor IV im ukrainischen Tschernobyl explodierte. Die erste Reaktion damals: „Wir blieben alle an unseren Plätzen. Keiner hat gedacht, daß es etwas Großes sein könnte.“ Inzwischen weiß Akulinin, daß es etwas Großes war. Der 37jährige ist Chef der PR-Abteilung des Atomkraftwerks Tschernobyl und der gesperrten 30-Kilometer-Zone rund um den Reaktor geworden. Er selbst mußte von der Kleinstadt Pripet in der Sperrzone in die Neubausiedlung Slawutich 60 Kilometer vom AKW entfernt umziehen. Einer seiner beiden Söhne leidet seit Jahren an Bronchialasthma, und auch Akulinin selbst ist nicht ungeschoren geblieben. „Ich kenne meine Strahlendosis, sie wird nicht ohne Folgen bleiben“, sagt der stämmige Russe. Über die Gesundheitsgefahr reden mag er nicht. Wichtig sei vor allem die eigene seelische Verfassung. „Es ist wohl auch mein Optimismus, der mich noch arbeiten läßt.“ Alle Kollegen, die damals mit ihm im Reaktor I und bei den Aufräumarbeiten tätig waren, haben inzwischen einen Invalidenschein. Akulinin hat 1977 begonnen, im AKW Tschernobyl zu arbeiten. Zuerst im technischen Bereich, später, nach dem GAU, hat er eine Fortbildung zum Diplom- Volkswirt abgeschlossen. Geboren ist er in Swerdlowsk, „Jekatarinenburg“, wie er selbst sagt. Das AKW hat ihm damals einen gutbezahlten Job geboten und alle Wege zum Weiterkommen offeriert. Heute ist Akulinin an Tschernobyl gefesselt. Er hätte zwar die Möglichkeit gehabt, in Kiew zu leben, auch wegen seines Sohnes. „Aber die Partei hat gesagt, Sie müssen als Vorbild leben, Sie müssen nach Slawutich ziehen. Sonst werden Sie Probleme bei der Arbeit bekommen.“ Akulinin hat gehorcht, trotz der Krankheit des Sohnes. Auch nach dem dritten Glas Wodka tritt er noch für den Weiterbetrieb des AKWs ein. Die Sicherheit sei erheblich höher, heute hätten alle Atomarbeiter klare Verhaltensmaßregeln für den Störfall. „Die gab es damals nicht.“ Vor allem aber hätten die 25.000 Menschen in der Retortenstadt Slawutich keine Alternative. Hermann-Josef Tenhagen

Sergej Akulinin

Foto: N. Michalke/Octopus

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