■ Mit Abfallvermeidung auf du und du: Wortakrobatik
Berlin (taz) – Die Bundesregierung vermeidet Abfall – auf dem Papier. Denn in dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz, das heute im Bundestag verabschiedet wird, wird Müll als „Rückstand“ bezeichnet. Nur das, was letztlich auf der Deponie landet, gilt weiterhin als Abfall. Alles übrige wird als „Sekundärrohstoff“ definiert. Der kann zur Herstellung neuer Produkte verwendet werden, aber auch in Bergwerke zur Sicherung der Stollen verfüllt werden.
Besonderer Clou der Wortakrobaten im Umweltministerium: Auch die Verbrennung von Müll gilt als „Verwertung von Sekundärrohstoffen“, wenn der Heizwert mindestens 11.000 Kilojoule pro Kilogramm beträgt und in irgendeiner Form genutzt wird. Schon in einer normalen Müllverbrennungsanlage werden durchschnittlich 10.000 Kilojoule erreicht – und wenn mit Hilfe von Biotonnen Kartoffelschalen und andere feuchte Materialien aussortiert wurden, ist der Wert von 11.000 Kilojoule locker zu erreichen.
Daß die Bundesregierung sich in ihrem eigenen Begriffswirrwarr verheddert, wird bereits im ersten Paragraphen deutlich: „Zweck des Gesetzes (ist) die Förderung einer abfallarmen Kreislaufwirtschaft.“ In der Logik der Autoren aber müßte von einer „rückstandsarmen“ Kreislaufwirtschaft die Rede sein.
Im ersten Regierungsentwurf vom Herbst 1992 hatte Vermeidung von Abfall noch klare Priorität vor der Verwertung. Die Hersteller sollten viel stärker als bisher für ihre Produkte verantwortlich gemacht werden. Die Interventionen insbesondere der chemischen Industrie aber waren erfolgreich: Inzwischen stehen Vermeidung und Verwertung als gleichberechtigte Ziele auf einer Stufe. Das bedeutet auch für die Abfallwirtschaft, die selbst in Zeiten der Rezession zweistellige Zuwachsraten verzeichnen kann, wunderbare Aussichten. Schön für die Müllmänner auch die vereinfachte Genehmigungspraxis von Anlagen, in denen „Rückstände thermisch verwertet“, sprich verbrannt werden.
Ein weiterer Kritikpunkt der Opposition ist die fortschreitende Deregulierung des Müllwesens. So sollen Betriebe, die ihren Müll selbst entsorgen, nur einmal einen entsprechenden Nachweis bei den Behörden vorlegen müssen. Bisher waren Nachweisverfahren vorgeschrieben, die von den Amtmännern und -frauen regelmäßig überprüft werden konnten. Auch andere Paragraphen zielen darauf ab, der Wirtschaft freiere Hand mit ihrer Dreckbeseitigung zu lassen. „Laxe Bestimmungen leisten dem Treiben einer skrupellosen Müllmafia Vorschub, statt ihr das Handwerk zu legen“, prognostiziert die SPD-Abgeordnete Liesel Hartenstein, deren Partei gegenwärtig noch laut tönt, das Gesetz im Bundesrat kippen zu wollen. Annette Jensen
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