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Militäraufmarsch an Tempelbaustelle

Hinduistischer Tempelbau könnte Initialzündung für einen Religionskrieg zwischen Moslems und Hindus sein/ Indische Regierung ließ Führer der fundamentalistischen Hindupartei BJP verhaften  ■ Aus New Delhi Cornelia Meyer

Etwa 500 Kilometer südöstlich der indischen Hauptstadt New Delhi tickt eine Zeitbombe. Heute soll in Ayodhya, einer der sieben für gläubige Hindus heiligen Städte, eine der ältesten Moscheen Indiens dem Neubau eines Hindutempels weichen, was einen Religionskrieg von ungeahntem Ausmaß zwischen Hindus und Moslems auslösen könnte. Rund 250.000 Sicherheitskräfte sind um die Stadt konzentriert, die Zufahrtswege nach Ayodhya sind gesperrt, der Eisenbahn- und Busverkehr wurde eingestellt. Der „Fall Ayodhya“ hat in New Delhi zu einer schweren Regierungskrise geführt, und der indische Premierminister Vishwanath Pratap Singh muß nach nur elf Monaten Amtszeit um seinen Posten als Regierungschef fürchten.

Der Stein des Anstoßes ist die „Babri Maschid“, eine eher unscheinbare Moschee am Rande der 45.000 Einwohner-Stadt Ayodhya. Schon Anfang des 16. Jahrhunderts wurde sie dort vom ersten Mogulherrscher Babur errichtet. Er ließ das islamische Gotteshaus auf einem Grundstück bauen, auf dem zuvor angeblich ein Tempel stand, der dem Gott Rama gewidmet war, einer Inkarnation des Weltenschöpfers Wischnu. Rama soll nach Hinduglauben hier geboren sein. Jetzt, rund 460 Jahre später, wollen fanatische Hindus altes Unrecht sühnen, die Moschee abreißen und einen neuen Tempel bauen.

Die religiösen Eiferer finden in New Delhi mächtige Unterstützer: die fundamentalistische Hindupartei BJP hat hat sich das Tempelprojekt an die Fahnen geheftet und schürt den Konflikt nach Kräften. BJP-Vorsitzender Lal Krishna Advani startete vor Wochen einen gigantischen Werbefeldzug für den Tempelneubau in Ayodhya. Immer größer und fanatischer wurde die Menschenmenge, die ihm auf seiner knapp 10.000 Kilometer langen Reise kreuz und quer durch Indien zulief. Alle Appelle V. P. Singhs, das gereizte Klima zwischen Moslems und Hindus nicht noch weiter anzuheizen, stießen bei Advani und der Schar seiner Anhänger auf taube Ohren.

Nachdem sich die Lage von Tag zu Tag mehr zuspitzte, die Stimmung zwischen den Religionsgemeinschaften immer angespannter wurde und der BJP-Chef dennoch seinen Weg nach Ayodhya unbeirrt fortsetzte, griff die indische Regierung am 23. Oktober schließlich zu einer drastischen Maßnahme: sie ließ Advani verhaften. Am Sonntag wurden auch die BJP-Vizepräsidentin Vijayraje Scindia und tausende Anhänger auf dem Weg nach Ayodhya festgenommen. Die BJP kündigte daraufhin der Minderheitsregierung von V. P. Singh die Unterstützung. Seither muß der Premierminister um seinen Posten zittern, denn ohne die Stimmen der hindufundamentalistischen BJP verfügt er im Parlament nicht mehr über die notwendige Mehrheit.

Am 7. November soll eine Parlamentssitzung in New Delhi Klarheit darüber bringen, ob die von V. P. Singh geführte Minderheitsregierung noch eine wie auch immer zusammengesetzte Mehrheit der Abgeordneten hinter sich bringt. Sie könnte, um dieses Ziel zu erreichen, auf Unterstützung aus der Kongreßpartei angewiesen sein. Doch selbst mit dieser Hilfe sieht die Lage für den Premierminister schlecht aus. Oppositionsführer Rajiv Gandhi und seine Kongreßpartei machten bereits deutlich, daß sie die Regierung nur stützen wollen, wenn V. P. Singh abtritt. Aber auch in seiner eigenen Janata- Dal-Partei hat der Premierminister einflußreiche Feinde, die starkes Interesse signalisieren, den Premierministersessel zu besetzten.

Nicht erst durch diese Regierungskrise ist der „Fall Ayodhya“ zu einem Politikum geworden. Das Pro und Contra um den Tempelneubau wurde von der BJP schon früh als Chance erkannt, sich zusätzlich Millionen von Stimmen bei der hinduistischen Wählerschaft zu sichern. Mit 85 Prozent stellen die Hindus noch immer das größte Wählerpotential der etwa 850 Millionen Inder. Die Fanatisierung der Extremisten innerhalb dieser Religionsgruppe kann zu einem mörderischen Kampf mit den rund 120 Millionen Moslems in Indien führen. Und ein Tempelneubau in Ayodhya könnte die Initialzündung eines brutalen Religionskrieges sein. Denn mehrere Moslemorganisationen haben bereits bewaffneten Widerstand gegen den Abriß ihrer Moschee angekündigt.

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