Milchskandal in China: Schon 53.000 krank durch Melamin
Fast 13.000 chinesische Babys liegen im Krankenhaus. Chinas Behörden rücken nur Stück für Stück mit der Wahrheit raus. Gerine Spuren wurden auch in einem Nestlé-Produkt in Hongkong gefunden.
PEKING dpa/ap In China haben die Behörden mehr als 53.000 Fälle von Erkrankungen durch chemisch verseuchte Milchprodukte für Säuglinge registriert. Fast 13.000 Babys liegen noch in Krankenhäusern, nachdem sie mit der giftigen Chemikalie Melamin versetzte Milchprodukte zu sich genommen hatten, teilte das Gesundheitsministerium in Peking laut Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua am Sonntagabend mit. 104 von ihnen zeigten demnach schwere Krankheitssymptome.
Außerdem seien fast 40.000 Kinder ambulant behandelt und als geheilt entlassen worden. Bislang sind den Angaben zufolge vier Babys an Nierensteinen gestorben, die sich durch das beigemischte Melamin gebildet hatten. Am Montag musste der Leiter der Behörde für Qualitätssicherung als Konsequenz aus dem Skandal zurücktreten.
Die Zahl der Erkrankungen ist damit drastisch höher als bisher dargestellt. Bis zum Sonntag hatten die chinesischen Behörden nur von 6.200 Fällen berichtet. Wie es nun hieß, hätten knapp 1.600 der bislang stationär behandelten Babys die Kliniken inzwischen wieder als geheilt verlassen können.
Geringe Spuren auch in Nestlé-Produkt
Am Wochenende waren geringe Spuren des Stoffs in Hongkong in einem Produkt des weltgrößten Nahrungsmittelkonzerns Nestlé nachgewiesen worden. Jedoch sei die Konzentration so gering, dass der normale Konsum der in China hergestellten "Dairy Farm Pure Milk" unbedenklich sei, teilten die Behörden in Hongkong mit.
Trotz des Fundes gibt es in Deutschland nach einhelliger Meinung von Politikern und Verbraucherschützern keinen Anlass zur Sorge.
Nestlé Deutschland betonte am Montag: "Kein Nestlé-Baby-Milch-Produkt, das in Deutschland auf dem Markt ist, enthält Melamin." Das werde durch zertifizierte Rohstoffquellen und Qualitätskontrollen sichergestellt. Die in einem Hongkonger Labor untersuchte Probe habe Melamin-Spuren aufgewiesen, die 25-fach niedriger seien, als es der in der EU geltende Grenzwert erlaube. Ursache für die Verunreinigung in dem Nestlé-Produkt in Hongkong könnte nach Angaben des Konzerns "Kunststoff in der Verpackung" sein.
Panikreaktionen in Hongkong
In Hongkong kam es zu Panikreaktionen besorgter Eltern, die ihren Babys Fläschchen mit Milchpulver aus China zubereitet hatten. Am Samstag war ein dreijähriges Mädchen wegen Nierensteinen behandelt worden. Daraufhin kamen Hunderte Eltern mit ihren Kindern in die Kliniken und bestanden darauf, dass ihr Nachwuchs untersucht wird.
In Deutschland sind bisher - trotz verstärkter Kontrollen unter anderem an Flughäfen und Asia-Läden - keine Milchprodukte aus China aufgetaucht. In der ganzen EU gilt wegen der Vogelgrippe ohnehin ein absolutes Einfuhrverbot für tierische Lebensmittel aus China.
Dennoch mahnte Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) eine "doppelte Prüfung" von Waren aus China an. "Die Erfahrung zeigt, dass am Gesetz vorbei mit hoher krimineller Energie Waren in den europäischen Markt geschmuggelt werden", sagte Seehofer der Passauer Neuen Presse.
Ein rein chinesisches Problem
Der Melamin-Skandal sei ein rein "chinesisches Problem", betonte auch Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch, im ZDF-Morgenmagazin. Angesichts vermehrter illegaler Lebensmittelimporte über die Schwarzmeerhäfen in Osteuropa seien neben Kontrollen allerdings auch politische Maßnahmen gefragt. Bode forderte eine verstärkte Haftung auch von Importeuren und Einzelhändlern für die von ihnen verkauften Produkte.
Der Skandal hatte mit der Entdeckung der Chemikalie in Milchpulver des chinesischen Herstellers Sanlu begonnen. Eine von den Behörden veranlasste Massenuntersuchung hatte ergeben, dass Proben von 22 Herstellern Melamin enthielten. Die giftige Chemikalie war minderwertigem Milchpulver zugesetzt worden, um dessen Eiweißgehalt zu erhöhen.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Peking sind alle bislang untersuchten Krankheitsfälle auf Milchpulverprodukte und nicht auf flüssige Milch zurückzuführen. Die meisten betroffenen Kinder seien mit Milchpulver der Firma Sanlu versorgt worden.
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