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Archiv-Artikel

Mikro-Finanzierung

Das UN-Jahr der Mikrokredite hat gerade begonnen. Kleinstkredite können helfen, Existenzen aufzubauen oder zu sichern – auch in Deutschland

VON ANDREAS LOHSE

Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2005 zum „Year of Microfinance“ erklärt, zum Internationalen Jahr der Kleinstkredite. Das hat einen guten Grund: Hilfe zur Selbsthilfe ist weltweit ein wichtiger Faktor zur Bekämpfung von Armut, zur Stabilisierung von Wirtschaft und internationaler Sicherheit. Klingt geschwollen, ist aber ganz einfach: Je zufriedener der Einzelne ist, je mehr jeder das tun kann, was seinen Fähigkeiten und Neigungen entspricht, desto besser ist dies auch für alle anderen Menschen, weil Hunger, Durst und Krankheiten lebensbedrohlich sind, Armut und Arbeitslosigkeit unzufrieden machen und Konflikte programmieren.

Die Sache hat nur einen Haken: Es kann nicht jeder das tun, was ihm am meisten liegt, solange er zur Verwirklichung seiner Ideen nicht das nötige Geld hat – oder eben nicht die Kredite bekommt. Hier setzt das System der Mikrofinanzen an: Vor 30 Jahren wurde es in Bangladesch zwar sicherlich nicht erfunden, doch zog die Idee seinerzeit von dort aus zumindest internationale Kreise. Ein Wirtschaftsprofessor namens Muhammad Yunus finanzierte aus eigener Tasche ein lokales Projekt für 42 Frauen in einem abgelegenen Dorf mit Kleinstkrediten. Die Grameen-Bank griff dieses Konzept auf, setzte es fort und machte diese eigentlich sehr einfache Sache weltweit bekannt. Heute ist Grameen in 35.000 Dörfern aktiv und hat über 2 Millionen Kreditnehmer, wissen Experten. Weltweit hätten im Jahr 2001 schon 32 Millionen Personen und Familien Zugang zum Mikrofinanzsystem, im Jahr 2007 sollen es 100 Millionen sein. Dies unterstützten in diesem Jahr die Vereinten Nationen.

Vom Internationalen Jahr der Kleinstkredite erhofft sich die UNO, dass Kampagnen den Kleinstkreditprogrammen in der ganzen Welt Auftrieb geben. Dazu will auch die Organisation Oikocredit beitragen. Sie ist nach eigenen Angaben einer der weltweit größten privaten Finanzierer solcher Kreditprogramme.

Die internationale Ökumenische Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit wurde 1975 gegründet und hat sich mit 200 Millionen Euro Kapitalvolumen zu einem europäischen ethischen Fonds entwickelt. Finanzgeber sind sowohl Privatpersonen als auch Gemeinden, kirchliche und weltliche Gruppen, organisiert über regionale Förderkreise in den Bundesländern.

Vermittelt werden die in der Genossenschaft angelegten Gelder zur Hälfte an Partnerunternehmen, die vor Ort für die weitere Verteilung sorgen. Die andere Hälfte geht als Direktkredite vor allem in die Landwirtschaft und in Kleingewerbe in den armen Ländern. Rund die Hälfte der Darlehen (60 Millionen Euro) sind einer Selbstdarstellung zufolge in 180 Mikrofinanzinstitutionen investiert, die nicht nur Kredite vermitteln, sondern auch weitere Finanzdienstleistungen anbieten. Die Rückzahlungsquote bei Mikrokrediten liegt übrigens extrem hoch, nicht selten beträgt sie 100 Prozent. Davon können Geschäftsbanken mit ihren vermeintlich solventen Kunden nur träumen.

Wenn man hier allerdings von „Krediten“ spricht, so sind das nicht etwa jene 5.000 bis 20.000 Euro, die ein Bundesbürger für seine neue Küche oder für das Auto aufnimmt. „Mit Kleinstkrediten sind Darlehen zwischen zehn und einigen hundert Euro gemeint“, heißt es bei Oikocredit. Diese für uns meist unbedeutenden Summen gelten jedoch „als äußerst effiziente Strategie zur Armutsbekämpfung“ und reichen „oft aus, eine gewerbliche Tätigkeit aufzunehmen oder auszubauen“. Gerade für Frauen sei dies wichtig, denn sie gelten, so Oikocredit, in „vielen Ländern grundsätzlich nicht als kreditwürdig“. So öffneten Mikrokredite vielen Frauen den Weg in die Selbstständigkeit. Und: „Bei der Tilgung von Darlehen sind Frauen zuverlässiger als Männer.“ Mikrofinanzinstitute bieten oft auch Versicherung an, Fortbildung und Geschäftsberatung. „Die Menschen erhalten Dienstleistungen“, so Oikocredit, „von denen sie anderswo ausgenommen sind.“

Auch in Mitteleuropa sind kleine Kunden für große Banken nicht sonderlich interessant. Gleichwohl benötigen sie ebenfalls Startkapital, um sich beispielsweise aus der Arbeitslosigkeit heraus eine gesicherte Existenz aufzubauen. Im November vergangenen Jahres wurde deshalb eigens das Deutsche Mikrofinanzinstitut (DMI) gegründet, initiiert unter anderem von der Bochumer GLS-Gemeinschaftsbank. Inzwischen sind 30 Organisationen beteiligt, darunter die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). In „Gründerzentren“ wird über die Kreditwürdigkeit des Antragstellers entschieden. Bei einem positiven Bescheid gibt es eine Empfehlung für die Hausbank, die ihr Papier wert ist: Damit deckt das DMI deren Forderung vollständig ab. Das Darlehen läuft über zwei Jahre, in dem das DMI dem Darlehensnehmer beratend zur Seite steht. Geht alles gut, gewinnt der einst Arbeitslose als Kleinunternehmer an Kreditwürdigkeit auch für größere Beträge bei den Geschäftsbanken. Das DMI betreibt damit gleichsam Unternehmens- und zugleich Wirtschaftsförderung.

Zur Finanzierung hat die GLS-Bank eigens einen Mikrofinanzfonds aufgelegt. Beteiligen kann man sich ab 2.000 Euro in 1.000er-Schritten als stiller Gesellschafter mit allen Risiken, die ein Fonds mit sich bringt. Kündigen kann man erstmals nach zehn Jahren, die jährliche Verzinsung beträgt 1,5 Prozent. Aus den damit zur Verfügung stehenden Mitteln will man bis Ende 2006 vorerst 500 Mikrokredite ausgeben bei Darlehenshöhen von maximal 15.000 Euro.