Micha BrumlikGott und die Welt: Nachdenken überdie Möglichkeitenvon Heimat
Weil gesunder Patriotismus und Liebe zur Heimat“, so der siebte Punkt eines kürzlich von der CSU publizierten parteipolitischen Grundsatzpapiers, „wichtig sind. Wir können stolz sein auf das, was Deutschland in den letzten 70 Jahren erreicht hat. Die Werte und Prägung unserer Heimat sorgen für Identität und Zusammenhalt. Nur wer der eigenen Sache sicher ist, kann anderen offen und tolerant begegnen …“
Was aber genau ist Heimat? Jener Ort, an dem Menschen schon immer gelebt haben? Der Ort ihrer Herkunft? Oder doch vielleicht sogar ein Ort der Ankunft?
Das Thema hat jedenfalls auch die neueste sozialwissenschaftliche Literatur und dazu das allerneueste Feuilleton erreicht: Von Überlegungen zur „Transzendentalen Heimatlosigkeit des modernen Menschen“ bis zu einer Studie über die „Literatur der Verlassenheit“ reicht etwa ein soeben erschienener Sammelband mit „politisch-philosophischen Perspektiven“ zum Thema. Schon ein Jahr zuvor hatte die renommierte Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen den damit zusammenhängenden Fragen eine Sonderausgabe gewidmet.
Neu ist die Debatte um die „Heimat“ hierzulande jedenfalls nicht: Schon vor dreißig Jahren drehte der Regisseur Edgar Reitz seine mit Prolog und Epilog insgesamt fünfteilige Filmserie „Heimat“ – eine Serie, deren Handlung im fiktiven Dorf „Schabbach“ im Hunsrück nach dem Ersten Weltkrieg beginnt, um die Jahre des Zweiten Weltkriegs fernab der Front zu zeigen und schließlich die Binnenwanderung der Hauptpersonen nach München zu verfolgen. „Heimat“ – das zeigte dieses monumentale Filmprojekt in ungewöhnlicher Eindringlichkeit – ist ebendies, was die CSU unterstellt, genau nicht: ein territorialer, sozialer und geistiger Ort, an dem man sich der eigenen Sache auf jeden Fall sicher ist, ein Ort, an dem man sich auskennt, wohlfühlt, anerkannt wird und eben auch – last but not least – ein materielles Auskommen findet. Damit wird sofort deutlich, dass „Heimat“ allemal mehr und anderes ist als lediglich „Herkunft“. Erst kürzlich hat Edgar Reitz in einem großen Interview in der FAZzu all dem noch einmal Stellung bezogen und darauf hingewiesen, dass „Heimat“ so vor allem ein deutsches Wort sei – die einzige andere Sprache, in der es mit ähnlichem Sinngehalt vorkäme, sei Russisch: „Rodina“.
Muss aber die Ankunft der anderen, ihre Be-Heimatung auf neuem Territorium, die Heimat der „Alteingesessenen“, deren „Heimatgefühl“ in unzumutbarer Weise beeinträchtigen? Etwa wenn immer mehr Frauen mit Kopftüchern im Quartier zu sehen sind oder man in Berlin beim Bäcker, wie vor geraumer Zeit der ehemalige Bundestagspräsident Thierse beklagte, keine „Schrippen“, sondern nur noch „Brötle“ erhält? 1959 jedenfalls beendete Ernst Bloch sein über tausend Seiten langes Werk „Das Prinzip Hoffnung“ mit diesen Worten: „Hat sich der die Verhältnisse umbildende Mensch erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“
Daran ist so viel richtig, dass der Begriff der „Heimat“ immer auch eine Erinnerung an eine – wahrlich nicht von allen Kindern ersehnte Geborgenheit – darstellt.
Indes: Ernüchtert von den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, wird man gegenüber Blochs Hoffnung auf ein Leben ganz ohne Entfremdung skeptisch sein. An die Stelle seines utopischen Begriffs der Heimat sollte daher ein kleinformatigerer, ja liberaler Begriff von „Heimat“ stehen: Heimat als territorialer, sozialer und geistiger Ort nicht einmal versöhnter, wohl aber respektierter oder doch mindestens tolerierter Verschiedenheit – was ohne ein Minimum an materieller Sicherheit ihrer BewohnerInnen kaum vorstellbar ist.
Der Autor lebt in Berlin und arbeitet am Zentrum Jüdische Studien
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