: Merkwürdig viele Zufälle
JUSTIZ Ein Mann tötet seine Ehefrau – aber ist die Tat nun Mord oder doch nur Notwehr?
Der Angeklagte atmet tief durch, bevor er zu seinen letzten Worten ansetzt. „Ich weiß, dass ich bestraft werde, und werde das akzeptieren.“ Helmut K., 48, ehemaliger Teamkoordinator einer Wohnungsbaugesellschaft, hat seine 32 Jahre alte Frau getötet. Ob dies jedoch als Mord, als Totschlag, als besonders schwerer oder minderschwerer Fall oder gar als Notwehr zu werten sei, darüber debattierten die Juristen im Berliner Landgericht gestern lange.
Die Tat fand im Schlafzimmer von Helmut K. statt. Das Paar lebte getrennt, es war gerade Papa-Woche, und die beiden fünf- und siebenjährigen Söhne schliefen im Nachbarzimmer. Andrea V., die sich seit geraumer Zeit um eine Zusammenführung ihrer Familie bemühte, hatte Nüsse und Wein gekauft, dann stylte sie sich für das Date.
Der Angeklagte behauptet jedoch, es sei ein spontanes Treffen gewesen. Man habe sich gestritten, bis seine Frau rief: „Wenn ich dich nicht kriege, kriegt dich keine!“ Daraufhin habe ihn die zierliche Kolumbianerin mit der Flasche attackiert, er habe zu einem Beutel gegriffen, in dem sich kleine Pflastersteine befanden, die er eigentlich zum Dekorieren seiner Balkonpflanzen verwenden wollte.
Ein klarer Fall von Notwehr, findet K.’s Verteidiger. Allerdings habe sein Mandant ein Bedürfnis nach Sühne, darum solle man das Ganze als einen minderschweren Fall des Totschlags werten und nicht mehr als sechs Jahre Haft verhängen.
Ein nüchterner Zahlenmensch wie Helmut K. bemalt Pflastersteine, um damit seine Pflanzen zu dekorieren? Zufällig liegen die Steine unter seinem Bett? Zufällig kauft er sich vor der Tat einen Fahrradanhänger, mit dem er auch eine Leiche problemlos über mehrere Etagen zu seinem Auto bugsieren und von dort zu dem zufällig bereits ausgekundschafteten Versteck schieben kann? Zufällig findet er vor der Tat im Internet das Bild „Mann im Koffer“, zufällig wird die verweste Leiche seiner Frau genauso verschnürt gefunden?
Es sind merkwürdig viele Zufälle, die die Verteidigung als „belanglose Fakten“ abtut, die Anwältin der Eltern des Opfers aber zu der Forderung nach einer lebenslangen Haft wegen Mordes aus Habgier bringt. Ihrer Meinung nach hätte sich der Angeklagte, der sich mit 50 Jahren zur Ruhe setzen wollte, die beträchtlichen Kosten der Scheidung sparen wollen – „in der Zukunft hätte ihm diese Summe erheblich gefehlt“.
Die Staatsanwältin und die Anwältin der Kinder werten die Tat als Totschlag, für den man sich bis zu 14 Jahre Haft vorstellen könne. Zwar lägen die Mordmerkmale „Habgier“, „Heimtücke“ und „niedere Beweggründe“ bedenklich nahe, seien aber juristisch nicht haltbar. Nächste Woche wird Helmut K. sein Urteil erfahren. UTA EISENHARDT