Merkel vor dem Sommerurlaub: Der Übermut der Krisenkanzlerin
Nach den finstersten Wochen ihrer Regierungszeit flüchtet sich Angela Merkel in düstere Betrachtungen zur Weltlage. Und verspricht, vorerst nicht zurückzutreten.
BERLIN taz | Ja, doch, man merkt es, als die Journalisten ihre Fragen stellen: Von den kleinlichen Debatten, die einige Medien in Deutschland führen, hat auch die Kanzlerin schon mal gehört. Flüchtige Minister- und andere Präsidenten, Koalitionsstreit, solche Sachen. Von sich aus redet Angela Merkel darüber nicht. Sondern über die Finanz-, die Wirtschafts- und die Eurokrise, das "kleine Wunder" auf dem Arbeitsmarkt und ein Deutschland, das sich als stärker erwiesen habe als gedacht.
Es ist ein Termin, bei dem Merkel von Anfang an unter verschärfter Beobachtung stand: der Auftritt vor der Bundespressekonferenz, mit dem sich schon ihr Vorgänger Gerhard Schröder in die Sommerferien zu verabschieden pflegte. Ein Anlass, bei dem Schröder stets alle Register seiner Bastakünste zog. Er setzte die grimmigste der Löwenminen auf und gab den Entschlossenen, auch wenn er in der zurückliegenden Politsaison schon mal die "ruhige Hand" gepredigt hatte.
Auch Merkel hält das Stück mittlerweile abrufbereit in ihrem Repertoire bereit, in ihrem Fall sollen Flapsigkeiten im Templiner Tonfall die zurückgewonnene Souveränität demonstrieren. "Im Augenblick können Sie fest davon ausgehen, dass Sie mich nach den Ferien wiedersehen", sagt sie etwa zu den Rücktritten der letzten Zeit.
Nun ja. Es gab tatsächlich Wochen, in denen konnte man sich darüber nicht so sicher sein. Die erste Juniwoche etwa, als Merkel zwischen Schuldenkrise, Präsidentenkür und Sparklausur hin- und herhetzte. Die Haushaltsbeschlüsse präsentierte sie damals im selben Saal der Bundespressekonferenz so matt, wie man es bei Merkel sonst nie sah.
Inzwischen sind die Dinge wieder vergleichsweise berechenbar. Der Rücktritt Ole von Beusts am vorigen Sonntag war ausnahmsweise mal vorhersehbar. Auch der weitere Verfall der schwarz-gelben Umfragewerte, den am Mittwoch gleich zwei Institute diagnostizierten, zählt in diesen Wochen zu den verlässlichen Konstanten des politischen Geschäfts.
"Es war immer klar, dass die große Koalition ein gewisses Schutzschild war gegen kritische Diskussionen", sagt Merkel dazu routiniert. Mit Spekulationen über neue Bündnisse will sie die angeschlagene FDP aber nicht beunruhigen, erst recht nicht nach dem Abstimmungsdebakel von Schwarz-Grün in Hamburg. "Dass das ein Modell ist, mit dem man einfach mal so auf der Bundesebene regieren kann, das sehe ich nicht." Was immer "einfach mal so" bedeutet.
Schulnoten verteilt sie auch, das gehört zum Termin dazu. Als Zukunftshoffnungen unter den neuen Ministerpräsidenten nennt sie die Thüringerin Christine Lieberknecht, den Schwaben Stefan Mappus, den Niedersachsen David McAllister. Nicht den Hessen Volker Bouffier. Ihren Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, wegen des koalitionären Missmanagements zuletzt in der Kritik, preist sie als "Versöhnungswerk auf Rädern". Dem CSU-Chef Horst Seehofer schließlich attestiert sie, seine "wesentliche Zeit" verbringe er "nicht mit Polarisieren".
Die Botschaft aber bleibt die Krise und nochmals die Krise. Aufs weitere Sparen schwört Merkel das Publikum ein, aufs demografische Schrumpfen und den Umbau der Sozialsysteme. Lieber Krisenkanzlerin als Koalitionskrise. Nicht dass die Leute übermütig werden.
Merkel selbst wird es am Schluss dann doch noch. Übermütig, ein ganz klein bisschen. "Es hat ja noch keiner nach der Gesundheitsreform gefragt", sagt sie spitz. Dabei hielten die Journalisten das doch noch für das größte Debakel der Regierung. Zwei Wochen ist es her.
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