Meine Sonne, mein Café, meine Wut: Was für ein welscher Kokolores!
liebling der massen
Uli Hannemann
Vor dem Neuköllner Café sind nur noch wenige Sonnenplätze frei, an einem der ersten schönen Tage dieses Jahres. Ich werde nervös, weil ein junges Pärchen, das offensichtlich nicht von hier ist, vor mir bestellt hat und mir so den Platz in meinem Café in meiner Gegend streitig zu machen droht. Als sie „to go“ bestellen, entspanne ich mich wieder ein wenig.
Als ich aber beim Warten auf mein Getränk nach draußen blicke, werde ich weiß vor Wut: Jetzt sitzen die an einem Tisch in der Sonne. Meinem Tisch. Als ich meinen Kaffee habe, quetsche ich mich wie selbstverständlich grob dazu – das Boot ist nun mal voll. Fast kippt mir dabei das Glas um.
„Da haben Sie aber Glück gehabt“, kommentiert der Bube meine gelungene Rettungstat. Beide lächeln nun diffus. „Normalerweise hab ich bei so was nie Glück“, bremse ich seine Euphorie. Für eine Verbrüderung sehe ich nicht den geringsten Anlass. Und jetzt siezen sie mich obendrein.
Es ist ja nicht so, dass man im Alter intoleranter wird, keineswegs, man wird nur sensibler auch für scheinbar nebensächliche Ärgernisse, die dabei doch so viel über den Zustand unserer Gesellschaft aussagen. Zum Beispiel, wenn Leute, die ebenfalls nicht von hier sind, am Rand des Radwegs herumstehen und dann, gerade wenn man auf dem Fahrrad vorbeifährt, sich wild gestikulierend gegenseitig irgendetwas zeigen. Also rücksichtslos den Zeigefinger ausfahren, als wäre man gar nicht da, und einem damit fast die Augen ausstechen.
Das kann ich absolut nicht leiden. Ich finde das auch total gefährlich. Man muss doch überhaupt nicht mit den Händen rumfuchteln, nur um auf irgendwas zu deuten oder etwas zu beschreiben. Was für ein welscher Kokolores! Man kann doch auch einfach sagen, „Da hinten rechts ist ...“ – „Neben dem Hochhaus genau vor uns befindet sich diese oder jene Sehenswürdigkeit ...“ – „Auf 11 Uhr in etwa 150 Metern Entfernung sieht man ...“ Es spricht doch nichts dagegen, sich ein bisschen verantwortungsvoll zu verhalten.
Ich ruf dann immer laut „hey“ und weiche demonstrativ und übertrieben ruckartig mit dem ganzen Oberkörper zurück und aus der Reichweite ihrer aufdringlichen Zeigefinger, wie so ein Specht, der erst mal ordentlich ausholt, bevor er seinen Schnabel in die Rinde hämmert.
Aber sie kriegen das gar nicht mit. Siezen Leute, belegen Lokalplätze mit umweltschädigenden To-go-Bechern, El Niños trojanische Papppferde, und stechen unschuldigen Berlinern die Augen aus. Leute, die nicht von hier sind. Und die meisten sind sogar von ganz woanders. Also jetzt mal hinter vorgehaltener Hand, weil man ja heutzutage praktisch nichts mehr sagen darf, also das bleibt jetzt besser unter uns, obwohl es die reine Wahrheit ist, aber dass die Wahrheit in Deutschland noch irgendetwas zählt, ist ja offenbar lang vorbei, in dieser Hinsicht ist das eigentlich gar nicht mehr mein Deutschland, also die allermeisten, die solche Sachen falsch machen, sind – ich sag das jetzt einfach mal, auch wenn dann wieder die Gesinnungspolizei auf mich einprügelt – also, die so was machen, sind – jetzt kommt doch mal bisschen näher ran mit dem Ohr, dann muss ich nicht so schreien, der Feind hört mit – also die sind: Ausländer.
Angenehme Ausländer
Isso, leider, hier stehe ich und kann nicht anders. Das wird man doch wohl noch sagen dürfen. Schließlich ist das ganz einfach meine persönliche Beobachtung. Ich kann doch nichts dafür, dass ich irgendwas beobachtet habe. Muss ich mich jetzt auch schon dafür entschuldigen? Und warum sollte ich denn lügen? Mir sind doch angenehme Ausländer auch viel lieber.
Aber, um nochmals auf die Frage zurückzukommen: Klar, habe ich Glück gehabt. Mir kippt zwar immer eine Menge um, doch im Großen habe ich sogar sehr viel Glück. Ich lebe noch, während andere tot sind. Das erkläre ich den jungen Menschen. Sehr ausführlich erläutere ich es ihnen. Sie nicken verständnisvoll.
„Ihr seid ja nicht von hier“, oldmansplaine ich weiter, „ich selber bin seit über dreißig Jahren in der Stadt.“ Ich ächze, um meinen Veteranenstatus zu unterstreichen. „Das kennt ihr ja nicht mehr. Überall besetzte Häuser. In Schöneberg. Die Schlacht am Nollendorfplatz. Auf der einen Seite 8.000 Kämpfer. Auf der anderen Seite 100.000 Bullen. Mit Hunden, Polizeipferden, Kampfelefanten, alles brannte, der Rauch machte den Tag zur Nacht, am Ende wurden die Toten gezählt: Einer ist nämlich vom Bus überfahren worden ...“
„Und Sie waren da die ganze Zeit immer mittendrin?“
„Bin ich wahnsinnig? Nein, natürlich nicht. Aber ich hab’s in der ‚Abendschau‘ gesehen.“
Ich gerate ins Schwärmen. Einstürzende Neubauten, abstoßende Altbauten, Nick Cave, Blixa Bargeld, Jens Lehmann. Die haben in ehemaligen Hundefrisörsalons mit Handrührgeräten gleichzeitig Kunst und Musik gemacht. Und alle waren die ganze Zeit über nackt. Außer im Winter. Und auf der Straße. Und im Schwimmbad … Ah, die jungen Herrschaften sind weg. Hab ich erst gar nicht bemerkt. Ohne sich zu verabschieden. Schade.
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