: Mehr als ein spaßiges Experiment
betr.: „Ein Tag mit Bart“, taz zwei vom 19. 1. 09
Eigentlich natürlich durchaus eine spannende Idee: Zu fragen, wie Menschen auf eine Frau mit Bart reagieren. Schade nur, dass der Artikel nicht auskommt, ohne gerade jene Personen abzuwerten, die das beschriebene Angestarrtwerden, den Ausschluss, das Ignoriertwerden möglicherweise nachvollziehen können.
Die Autorin scheint leider allzu bedacht darauf gewesen zu sein, sich ihrer eigenen „Normalität“ gewissermaßen trotz Bart zu versichern: Zunächst wird darauf hingewiesen, dass das ganze mit Cross-Gender nichts zu tun habe. Nun gut, kann man ja so sehen, wenngleich die Umwelt das vermutlich anders wahrnimmt: Bart tragen hat (gegenwärtig) immer etwas mit Gender zu tun. Weiter fragt sich die Autorin „im Stillen“, ob sie „garstig“ aussehe, nämlich „wie das arme Opfer einer hormonell bedingten Haarwuchsstörung“. Aha: Klebe-Bart als journalistisches Experiment ist lustig; Frauen mit gewachsenem Bart sind erstens Opfer und sehen zweitens garstig aus. Später dann reflektiert die Autorin, dass sich so ein Aussätziger fühlen müsse.
Was das heißt, konkretisiert sie folgendermaßen: „Einer mit Hasenscharte oder einer auffälligen Narbe im Gesicht.“ Ich werde den Eindruck nicht los, dass sich Personen mit Hasenscharte oder einer Narbe im Gesicht jetzt irgendwie als Aussätzige beschimpft fühlen. Gegen Ende ist die Autorin dann auch noch erleichtert darüber, dass ihre Kopfhaare bei einer Friseurin trotz Bart nicht allzu „kampflesbisch“ geschnitten werden. Kampflesbe bleibt aber leider auch als Adjektiv und in einem flotten Bart-Artikel ein Schimpfwort.
Vielleicht wäre es besser gewesen, eine Bart-Trägerin zu Wort kommen zu lassen, die damit mehr verbindet als ein spaßiges Experiment (und die den Mut hat, auf Abwertungen anderer zur eigenen Normalitätsabsicherung zu verzichten). JULIA ROSSHART, Berlin