■ Mehr als ein neues Silicon Valley: Serie: die neuen Quartiere (siebente Folge): Das im städtischen Brachland liegende Flugfeld Johannisthal/Adlershof soll zu einem Technologiepark und Wohngebiet für Eierköpfe mit urbanem Anspruch werden
Mehr als ein neues Silicon Valley
„Der Flugplatz Johannisthal hatte in jenen Tagen des Herbstes 1910 noch ein Aussehen, das man dem heutigen, wohlgepflegten Platze gar nicht mehr glauben möchte. Das Aerodrom hatte so zahllose Karnickellöcher, die so manches Fahrgestell gekostet haben. Der Flugplatz erschien als unübersehbare Weite, im Osten und Norden von Kiefernwald begrenzt und von hohen Palisadenzäunen ringsherum eingefaßt. Im Sommer stand die endlose Fläche voll duftender Blumen.“
Kaum mehr als ein paar Fotos, Briefe und ein Grabstein auf dem Schmargendorfer Friedhof sind von der Autorin des Zitats, der ersten deutschen Motorflugzeugpilotin, Melli Beese (1886 bis 1925), geblieben. Auf dem Flugplatz Johannisthal „hatte 1911 das Fräulein eine Probe ihrer Flugkunst abgelegt“, wie die Berliner Presse damals meldete. „Die Dame flog hinter dem Steuer ihrer Rumpler Taube zweimal um den Flugplatz und konnte, ohne den Apparat zu beschädigen, wieder landen.“ Wie der Ort selbst sind die Erinnerungen an die Bildhauerin, Fliegerin und Konstrukteurin beinahe verblichen. Johannisthal, einst Schauplatz von Flugwochen und tollkühnen Schauflügen vor einer halben Million Besuchern, liegt unter struppigem Gras vergraben – ebenso wie die Geschichte der Melli Beese.
Nur wenig erinnert heute an den zum Mythos geweiteten achteckigen Flugplatz zwischen Segelfliegerdamm und Rudower Chaussee im Südosten Berlins. Aus den frühen Jahren der technischen Entwicklungen und Luftrüstungen, 1910 bis 1918, finden sich noch drei Bauwerke euphorischer Lufteroberung: der sogenannte „Trudelturm“ und ein mächtiges Röhrenbauwerk – der Windkanal, in dem Flugeigenschaften getestet wurden. In Sichtweite der S-Bahn-Linie Adlershof liegt ein alter Hangar, dessen dynamisch überzogenes Dach den ganzen Schwung jener Zeit verkörpert.
Die baulichen Rudimente liegen heute versteckt hinter murkeligen Gebäuden, Fabrikationshallen und Lagerhäusern, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg zusehends auf das Flugfeld fraßen, das wegen seiner „grenznahen Lage“ nach 1945 nur noch als Übungsgelände genutzt wurde. Der jetzige Entwicklungsbereich im Dreieck zwischen Teltowkanal im Süden, der S-Bahn-Geraden im Osten und dem Ortsteil Johannisthal im Norden spielte zu DDR-Zeiten den Part einer Terra incognita. Zu Unrecht versenkte man das außerordentlich gut erschlossene Viertel – zwischen Innenstadt und Flughafen Schönefeld – quasi willentlich im Stadtgrundriß und machte ihn zur Wüstenei. Johannisthal/Adlershof blieb ein blinder Fleck, fehlten dem Ort doch jegliche urbanen Elemente.
„Es wäre töricht“, bemerkt Friedemann Kunst, Planer bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, „das vorhandene Areal nur unter der Perspektive der naturräumlichen Sanierung eines alten Flugfeldes zu sehen. Vielmehr sollte im Zusammenhang mit der urbanen Neuordnung und Umstrukturierung des riesigen, 460 Hektar großen Geländes auf den zweiten historischen Standortfaktor gesetzt werden: nämlich auf Johannisthal/Adlershof als Wissenschafts- und Forschungsstandort.“ Entlang der Rudower Chausee reihen sich bis dato die früheren Forschungseinrichtungen für einstmals 5.000 Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften, die ebenso für die Öffentlichkeit gesperrt waren wie die Studios des Deutschen Fernsehfunks und die benachbarten Kasernen. Kunst: „Die Entwicklung der naturräumlichen Gegebenheiten sowie die Revitalisierung des Forschungs- und Universitätsbereichs als neue Adresse mit 30.000 Arbeitsplätzen und 15.000 Wohneinheiten bietet die Chance, das Gelände wieder als Teil der Stadt erlebbar zu machen, ihr es gewissermaßen zurückzugeben.“
Der vergangene Woche vorgestellte Rahmenplan für das Areal Johannisthal/Adlershof projiziert das Bild einer High-Tech-Stadt auf den „blinden Fleck“ als Transformation und Neubestimmung jener klassischen Chiffre von Wohnen und Arbeiten. Anknüpfend an die vorhandenen Potentiale der Forschung und Wissenschaft soll im einen weitläufigen Landschaftspark (Flugfeld) ein städtisches Gefüge entstehen, das die monofunktionalen Szenarien etwa von Silicon Valley oder dem Technologie-Park La Villette bei Paris überwindet. Durch die branchenmäßig spezialisierte Bündelung technologisch innovativer Unternehmen, Forschungsinstitute, Beratungseinrichtungen sowie von Wohnungen „für und nicht nur für Eierköpfe“ (Kunst) an einem Ort sollen Synergie-Effekte – und Abhängigkeiten – sowie stadträumliche Strukturen geschaffen werden.
Den Schwerpunkt des vom Frankfurter Architekturbüro Jochem Jourdan vorgelegten Plans (der aus einem kooperativen Gutachterverfahren mit sechs Teams hervorgegangen ist) bildet der 36 Hektar große Landschaftspark. Um diesen gruppieren sich zwei Wohngebiete mit 4.300 Wohnungen sowie ein 83 Hektar großes Gewerbegebiet am Betriebsbahnhof Schöneweide, das die vorhandenen und neuen Gewerbeeinrichtungen durch ein Mischgebiet erweitert. Das Wohngebiet umschließen die Fachbereiche für Mathematik, Physik, Informatik, Chemie der Humboldt-Universität (HUB) für 5.000 Studenten sowie der „Technologie-Park Adlershof“, den die Entwicklungsgesellschaft Adlershof (EGA) plant. Dort sollen Forschungseinrichtungen und Laboratorien entstehen, beispielsweise der Ringbau „Bessy II“, zur Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Licht und Materie. Im Süden begrenzt ein weiteres Wohngebiet das Viertel.
Der „Umbruch“ im Südosten Berlins mittels der Rückgewinnung eines ins Abseits gedrängten Quartiers sucht indessen Anknüpfungen in der Topographie, den geschichtlichen Spuren und städtebaulichen Vorbildern der Jahrhundertwende. Die Technostadt, betont Jourdan, entwickle sich nicht neu, sondern aus Teilen des Vorhandenen. „Das Achteck des früheren Flughafens wird zum grünen Boulevard transformiert. Die brauchbaren Altbauten sollen umgenutzt, beispielsweise können Kasernen von der Humboldt-Universität und privaten Instituten besetzt werden. Der Stadt-Campus der HUB wird zum zentralen Ort in Adlershof werden.“ Die Freiraumgestaltung sowie die Erschließung werden auf der Basis des existierenden Straßenrasters herausgearbeitet. Entlang der Teltow- Autobahn, die Jourdan in zwei Fahrtrassen – eine nördlich, die andere südlich des Kanals – teilt, soll eine Lärmschutz-Böschung angelegt werden.
Der Plan für eine Forschungsstadt birgt in sich die unheilvollen Zeichen äußerster Funktionalität in den Chiffren aus Glas und Stahl, die das Lebendige gleich wieder zurückspiegeln. Der Rahmenplan Jourdans bindet daher die Technologiebereiche ein in ein geschichtliches und öffentliches Netz von Straßen und Plätzen und fordert es durch die „Wohngebietskeile“ heraus, mehr zu sein als tote Inseln der Wissenschaft. Der Rahmenplan versteht sich so als Bild einer kleinen Stadt: vom Erhalt und der Nutzung alter Gebäude, Wege und Strukturen über die ökologische Verbesserung und den Wiederaufbau der Landschaft bis zur Entwicklung neuer Arbeits- und Wohnformen sowie sozialer und kultureller Einrichtungen. Die Dimension der Planung muß sich selbst zum Vorbild nehmen und darf sich nicht an Masterpläne klammern.
Mehr sollte der Rahmenplan auch nicht sein. Es wäre vermessen, ihn zum fixen Leitbild einer zehn bis zwanzig Jahre dauernden Planung und Gestaltung machen zu wollen. Die Entwicklung von Johannisthal/Adlershof sollte vielmehr jenen frühen Flugversuchen gleichen, die sich vorsichtig tastend in den Himmel wagten. Die Erneuerung von Johannisthal/Adlershof sollte sich daher prozeßorientiert, das heißt erst langsam und allmählich „und hochflexibel“ (Kunst) sowie aus den Verknüpfungen mit den lokalen Identitäten sowie neuen baulichen und ökonomischen Strukturen ergeben, die auch revidiert werden können.
Das in Johannisthal/Adlershof angestrebte „Denken über Produktion“ steht in Konkurrenz zu dem benachbarten klassischen Produktionsstandort Oberschöneweide. Ihn zu erhalten, ist eine politische Aufgabe ersten Ranges. Die Synergien müssen daher über die S-Bahn-Linie fließen, die die beiden Gebiete trennt. Unbemerkt ist dies bereits umgekehrt geschehen – nämlich in Form des Rahmenplans, der die Traditionen des Städtbaus, dessen bauliche Figur und die Identität von Wohnen und Arbeiten in Oberschöneweide aus der Jahrhundertwende zitiert.
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