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■ Mehr als 60.000 Frauen und Mädchen wurden bislang im Krieg im ehemaligen Jugoslawien vergewaltigt. In Bordellen gefangen, müssen Mosleminnen von Tschetniks gezeugte Kinder gebären. Sexuelle Gewalt gegen Frauen wird von der UNO (noch) nicht geächtet. Eine entsprechende Resolution wird in Genf beraten.Frauen als Kriegsmaterial

Der Vertreter der bosnischen Serben war weiß vor Wut. „Mazowiecki ist für uns jetzt eine Persona non grata.“ Die Berichte des Sonderberichterstatters brachten Turbulenzen in die Sondersitzung der UNO-Menschenrechtskommission. Aufgrund der Ergebnisse von zwei Reisen Mazowieckis nach Ex-Jugoslawien hatten westliche und islamische Mitgliedsstaaten der Kommission einen Resolutionsentwurf erarbeitet, in dem die bosnischen Serben und die sie unterstützende Armee und Regierung Serbiens eindeutig als die Hauptverantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverbrechen in Bosnien-Herzegowina benannt werden. Gestern mittag hatten schon 48 der 54 Kommissionsmitglieder den Entwurf unterzeichnet. Doch wegen einiger Entschärfungswünsche der von den Serben vorgeschickten Griechen und Russen wurde die Sitzung über den Redaktionsschluß hinaus verlängert. Den Einbringerstaaten war daran gelegen, den Beschluß – wie bislang in der Kommission praktiziert, allerdings nicht vorgeschrieben – im Konsens zu fassen.

In der Resolution werden „vor allem von den Serben in Bosnien- Herzegowina und Kroatien begangene ethnische Säuberungen“ als „Verbrechen“ verurteilt. Diese „ethnischen Säuberungen“ und andere schwere Menschenrechtsverletzungen dauerten „entgegen anderslautender Versprechen der politischen Führer“ an. Hauptopfer seien die Muslimanen, denen die „Ausrottung“ drohe. Die internationale Staatengemeinschaft wird in dem Resolutionstext aufgefordert, „abzuwägen, inwieweit die in Bosnien-Herzegowina und Kroatien begangenen Menschenrechtsverstöße den Tatbestand des Völkermordes erfüllen“. Gegen die Begriffe „Ausrottung“ und „Völkermord“ richteten sich auch die Entschärfungsbemühungen der Griechen und Russen.

Bereits am Montag hatte der „Außenminister“ der selbsternannten serbischen Republik, Aleksa Buha, die Grundlage des Resolutionsentwurfs, den Mazowiecki-Bericht, als „parteiisch“ und „unkompetent“ und voller „antiserbischer Empfehlungen“ zurückgewiesen. Gegenüber den Menschenrechtsverletzungen der Kroaten und Muslimanen zeige er hingegen „Verständnis“. Mazowieckis Berichte wie der Resolutionsentwurf weisen jedoch deutlich auch auf Menschenrechtsverletzungen in den von bosnischen Kroaten und Muslimanen kontrollierten Gebieten hin. Doch seien die Ausmaße „nicht vergleichbar“ mit den Verstößen in den serbischen Territorien.

Die Verurteilung von Vergewaltigungen – an einer Stelle der Resolution ist sogar von der „systematischen Praxis von Vergewaltigungen“ die Rede – durch die UNO-Menschenrechtskommission ist neu. Das ist ein Erfolg von Journalistinnen und Frauengruppen, die in den letzten Wochen und Monaten diese Praktiken und ihren wahrscheinlichen Umfang aufgedeckt haben (siehe Kasten). Die Bemühungen der UNO und ihrer humanitären Organisationen zur Erfassung und Dokumentation dieser spezifisch gegen Frauen gerichteten Menschenrechtsverbrechen stecken bisher nur in den Anfängen. Zum einen sind Vergewaltigung oder andere Formen von Sexualverbrechen bislang in den menschenrechtsrelevanten Konventionen der UNO nicht ausdrücklich als Verbrechen definiert. Und in der bisherigen Praxis der UNO wurden auch die generellen Bestimmungen etwa über während eines Krieges begangene Verbrechen an der Zivilbevölkerung nicht entsprechend interpretiert. Zwar haben die in Ex-Jugoslawien tätigen MitarbeiterInnen des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) auch schon zahlreiche Berichte über Vergewaltigungen erhalten und in eigenen Veröffentlichungen seit August auch darauf hingewiesen. Jüngste Berichte über mindestens 60.000 vergewaltigte Frauen allein in Bosnien-Herzegowina, über die Existenz zahlreicher Vergewaltigungslager und -„hotels“ sowie über Vergewaltigung als systematische Waffen der Serben gegen die Muslime können die beiden Organisationen jedoch zumindest auf Grund eigener Erhebungen noch nicht bestätigen. Noch nicht. Angesichts der völlig unzureichenden finanziellen und personellen Ausstattung von UNHCR und IKRK stand diese Frage bisher „weit unten in der Prioritätenliste“, erlärte UNHCR-Sprecherin Silvana Foe gestern gegenüber der taz. Beschaffung, Transport und Verteilung von Hilfsgütern sowie die Bemühungen, Aufnahmeplätze für Flüchtlinge im Ausland zu finden, stehen im Vordergrund. An die Entsendung einer ausreichenden Zahl von geschultem weiblichem Personal, das die Frauen befragen könnte, von Ärztinnen, die geschändete und gefolterte Frauen untersuchen und Verletzungen auch mit Blick auf spätere Strafverfahren dokumentieren könnten, ist zur Zeit nicht zu denken. Vor zehn Tagen schickte das UNHCR eine erste, speziell ausgebildete Sozialarbeiterin nach Bosnien-Herzegowina. Sie soll in Zusammenarbeit mit moslemischen Nichtregierungsorganisationen den Berichten über systematische Vergewaltigungen nachgehen. Zu den Anschuldigungen gegen den früheren kanadischen UNPROFOR-General McKenzie gibt es bislang keine offizielle Stellungnahme der UNO-Seite. Daß aber auch UNO-Soldaten Frauen vergewaltigen, mochte inoffiziell niemand ausschließen. Im Fall von General McKenzie sei dies allerdings „kaum vorstellbar“. Andreas Zumach, Genf

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