Mehr Zeit für mehr Arbeit : Paris: Angriff im Herbst
VON DOROTHEA HAHN
„Natürlich hat es Auswirkungen bei uns, wenn in Deutschland die Arbeitszeit verlängert wird“, sagt Philippe Camus, Chef des europäischen Luftfahrtunternehmens EADS mit insgesamt 110.000 Beschäftigten, „unsere Wirtschaften sind extrem vernetzt.“ Für seine 41.000 Beschäftigten in Deutschland mag der Unternehmer nicht ausschließen, dass er ihre Arbeitszeit verlängern wird. Was die 43.000 EADSlerInnen in Frankreich betrifft, verhält er sich abwartend. Wie die meisten „Patrons“.
Bevor sie selber vorpreschen, wollen sie wissen, ob die rechte Regierung dem Drängen des Unternehmerverbands Medef nach einer Verlängerung der Arbeitszeit folgt. In den 90er-Jahren hat die rot-rosa-grüne Regierung die 35-Stunden-Woche eingeführt. Es war ihre zentrale Reform. In der Bevölkerung ist sie populär. Der Unternehmerverband Medef dagegen nennt die Arbeitszeitverkürzung einen „Standortnachteil“ und wehrt sich gegen das damit verbundene „staatliche Diktat“, das angeblich keine Flexibilität erlaubt.
Allerdings gestattet die 35-Stunden-Woche eine Umorganisation der Arbeitszeit über das ganze Jahr. Viele UnternehmerInnen lassen ihre Beschäftigten seither in der Hauptsaison 48 Stunden die Woche arbeiten und schicken sie zwischendurch in Zwangsurlaub. Hinzu kommt, dass der Staat 16 Milliarden Euro an Zuschüssen zahlt, den größten Teil an UnternehmerInnen.
Zwei neue außerfranzösische Ereignisse haben die Debatte erneut aufflammen lassen: erstens die Osterweiterung der EU –während in der alten EU die durchschnittliche Arbeitszeit bei 37 Wochenstunden liegt (Deutschland mit 1.450 Jahresarbeitsstunden und Frankreich mit rund 1.550 Jahresarbeitsstunden pro beschäftigte Person liegen dabei im Mittelfeld), müssen diejenigen, die einen Job haben, in den neuen EU-Ländern durchschnittlich 40 Stunden die Woche arbeiten. Und zweitens die Erpressung des deutschen Konzerns Siemens in Nordrhein-Westfalen, wo Werksverlagerungen nach Ungarn durch die Zustimmung der IG Metall zur 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich verhindert wurden. Die Methode macht in Frankreich bereits Schule. In diesen Tagen droht „Bosch“ seinen 800 Beschäftigten in Vénissieux bei Lyon, in die Tschechische Republik zu gehen, wenn sie nicht gratis länger arbeiten.
Die rechten französischen RegierungspolitikerInnen sind in der Frage der 35-Stunden-Woche gespalten. Allen ist bewusst, dass ihre Mehrheit in den Institutionen wenig mit den realen Kräfteverhältnissen zu tun hat. Staatspräsident Chirac hat lediglich zugelassen, dass die 35-Stunden-Woche im Jahr 2002 für mittelständische Betriebe außer Kraft gesetzt wurde. Jede weitere Aushöhlung der linken Reform hat der Staatspräsident für „imbécile“ erklärt.
Doch sein Finanzminister hat andere Absichten. Nicolas Sarkozy, zugleich Bruder des Medef- Vizepräsidenten, war immer Gegner der 35-Stunden-Woche. Er hat die Siemens-Entscheidung zum Anlass genommen, eine „tief gehende Reform“ zu verlangen: Nach der Sommerpause will er die Arbeitszeitverkürzung weiter aushöhlen.