Mehr Geld für Ökoenergie: Paradoxes Erfolgsmodell
Weil Deutschland Wind- und Sonnenstrom auf Rekordniveau produziert, könnte deren Anteil an der Stromrechnung steigen. Das Umweltministerum hält das für spekulativ.
BERLIN taz | Ab kommendem Jahr kommen wahrscheinlich höhere Stromkosten auf die Bundesbürger zu. Grund könnte eine höhere Umlage für die Produktion von erneuerbaren Energien sein. „Dass die EEG-Umlage 2013 auf 4 Cent steigt, halte ich für durchaus möglich. Die Schwelle von 5 Cent wird dann wahrscheinlich zwischen 2015 und 2017 überschritten“, sagte Matthias Reichmuth vom Leipziger Institut für Energie der taz.
Er leitet die Projektgruppe, aufgrund deren Berechnungen die Bundesnetzagentur im vergangenen Jahr festlegte, wie viel jeder Stromkunde für die Förderung erneuerbarer Energien zahlen muss. Diese sogenannte EEG-Umlage wird automatisch mit der Stromrechnung gezahlt; momentan beträgt sie 3,59 Cent pro Kilowattstunde, was circa 15 Prozent der Stromkosten entspricht.
Zugleich wird die Umlage oft als Gradmesser für die Kosten der Energiewende herangezogen – steigt sie, gibt es traditionell aufgeregte Debatten. Das Handelsblatt zitierte am Mittwoch anonyme Quellen aus dem Umfeld der Übertragungsnetzbetreiber, die die EEG-Umlage einsammeln. Dort gehe man davon aus, die Umlage könne bereits im kommenden Jahr auf 4,8 Cent bis 5,2 Cent pro Kilowattstunde steigen.
Noch im vergangenen Herbst waren die vier Übertragungsnetzbetreiber von 3,66 bis 4,74 Cent pro Kilowattstunde ausgegangen. Einer davon, 50Hertz, sprach laut Handelsblatt von „erheblichem Druck“ auf die Umlage. Auf taz-Anfrage wollte sich keiner der Übertragungsnetzbetreiber zu dem Bericht äußern.
Offizielle Zahlen kommen im Herbst
Auch das Bundesumweltministerium wollte die Angaben nicht kommentieren. „Die Zahlenwerte, die jetzt diskutiert werden, sind reine Spekulation, an der sich das BMU nicht beteiligt“, sagte ein Sprecher und verwies auf die offiziellen Zahlen, die erst im Herbst veröffentlicht werden.
Verwunderlich ist das nicht – es ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, dass die Kosten für die Förderung der erneuerbaren Energien nicht weiter ansteigen. Eine Debatte zur Unzeit soll offenbar vermieden werden. Reichmuth ist von der absehbaren Preisentwicklung nicht überrascht. Der Ausbau der Fotovoltaik ist in seinen Prognosen enthalten, auch die guten Wetterverhältnisse. Die Kosten hängen neben dem Zubau von regenerativen Kraftwerken vor allem vom Wetter und dem Strompreis ab.
Industrie wurde 2010 um 1,17 Millarden enlastet
Weil in diesem Jahr Sonnen- und Windverhältnisse sehr gut sind, wird auch mehr grüner Strom produziert - allein die heimischen Fotovoltaikanlagen erzeugten im ersten Quartal 2012 40 Prozent mehr Strom als im Vorjahr. Das Paradoxe: Erzeugen die Anlagen mehr Ökostrom, sinkt wegen des höheren Angebots der Strompreis an der Börse.
Die Agentur für Erneuerbare Energie beziffert diesen Merit-Order-Effekt auf 0,5 Cent pro Kilowattstunde - wodurch die Industrie im Jahr 2010 um 1,17 Milliarden Euro entlastet worden sei. Gleichzeitig erlösen Sonne und Wind dadurch weniger und müssen höher gefördert werden. Je erfolgreicher erneuerbare Energien also sind, desto teurer scheinen sie zu werden - und immer mehr Unternehmen lassen sich von ihrer Förderung befreien.
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