Medienrechtler gegen Parteien-Fernsehen: Die Politik blockiert
Die gesellschaftlichen Gruppen müssen ihre Rolle ernst nehmen, sagt der Medienrechtler Dieter Dörr von der Uni Mainz. Er setzt sich für mehr Staatsferne beim öfentlich rechtlichen Rundfunk ein.
Herr Dörr, taz-LeserInnen fordern in Leserbriefen, der Bundespräsident möge einschreiten, um den Durchmarsch der Politik beim ZDF zu stoppen. Ist es wirklich so schlimm?
Dieter Dörr: Es ist zumindest eine Frage von ganz grundsätzlicher Bedeutung und geht über die Problematik, ob Nikolaus Brender Chefredakteur des ZDF bleibt, hinaus. Es geht um die höchsten Gremien des ZDF, den Fernsehrat und den Verwaltungsrat. Deren Zusammensetzung macht es möglich, dass die politischen Parteien maßgeblichen Einfluss auf den Sender nehmen können – durch nicht eben unwichtige Entscheidungen, wer Chefredakteur oder Programmdirektor wird. Sie könnten theoretisch hier sogar eigene Vorschläge machen, weil der ZDF-Intendant diese Posten nur im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat besetzen kann. So etwas gibt es nirgendwo sonst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dabei ist ein Verwaltungsrat eigentlich dazu da, die wirtschaftliche Führung eines Senders durch den Intendanten zu kontrollieren – und nicht Einfluss aufs Programm zu nehmen. Aber bei so wichtigen Personalentscheidungen nimmt der ZDF-Verwaltungsrat natürlich Einfluss aufs Programm.
Im Verwaltungsrat sitzen allein sechs Spitzenpolitiker: Fünf amtierende oder ehemalige Ministerpräsidenten der Länder sowie Medien-Staatsminister Bernd Neumann (CDU).
Dieter Dörr, Jg. 1952, ist Professor an der Uni Mainz und Direktor des dortigen Medieninstituts. Er ist der führende Rundfunkrechtler in Deutschland.
Richtig. Und für seine Personalvorschläge braucht der Intendant eine Drei-Fünftel-Mehrheit in diesem 14-köpfigen Gremium – das heißt, hier kann die Politik allein alle Personalvorschläge blockieren. Aber die Zusammensetzung des Fernsehrates ist noch problematischer: Denn von den 77 Mitgliedern des Fernsehrats sind nur fünf ohne jede Mitwirkung des Staates oder der politischen Parteien entsandt werden – und zwar die Vertreter der Kirchen und des Zentralrats der Juden.
Aber die meisten FernsehrätInnen sind doch VertreterInnen der berühmten „gesellschaftlichen Gruppen“, also letztlich von uns allen. Welchen Einfluss hat hier die Parteipolitik?
Ganz einfach: 16 Vertreter von im ZDF-Staatsvertrag aufgeführten gesellschaftlichen Gruppen werden unmittelbar von den Ministerpräsidenten der Länder ausgesucht. Da gibt es keine Verbände, die Leute vorschlagen. Juristisch muss man diese Fernsehräte also dem Staat zurechnen. Die anderen gesellschaftlichen Gruppen müssen Listen mit jeweils drei Vorschläge machen, aus denen sich wieder die Ministerpräsidenten einen aussuchen. Auch hier entscheidet der Staat bei der Auswahl mit. Und die restlichen Fernsehräte – also die Vertreter der Länder, des Bundes und der Parteien - sind natürlich ganz logisch der Politik zuzurechnen.
Das spottet aber doch jeder „Staatsferne“, die für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich gelten sollte.
Stimmt: Selbst bei Anlegung großzügigster Maßstäbe sind hier die Grenzen bei weitem überschritten. Das Verfassungsgericht hat über Gremienzusammensetzungen leider noch nie konkret entscheiden – aber immer klar gestellt, dass der Staat keinen maßgeblichen Einfluss auf den Rundfunk gewinnen darf.
Das ist aber beim ZDF doch schon lange so – warum kommt der Protest erst jetzt?
In der juristischen Fachöffentlichkeit ist schon immer kritisch diskutiert worden, man muss jetzt endlich sehr kritisch die Frage stellen, was staatliche Vertreter überhaupt in den Gremien zu suchen haben. Dass es jetzt zum Schwur kommt, liegt daran, dass sich die beteiligten Politiker – allen voran Roland Koch – so eindeutig geäußert haben, dass es für jeden klar ist, dass es hier um inhaltliche Einflussnahmen geht.
Wie sieht es bei der ARD aus? Droht hier auch ein Durchmarsch der Politik?
Eine Gremienzusammensetzung wie beim ZDF gibt es bei der ARD nicht. Früher war die Zahl der staatlichen Vertreter im NDR Rundfunkrat auch sehr hoch – doch hier sind diese Misstände mittlerweile abgebaut und die Staatsferne deutlich gestärkt. Trotzdem bleibt natürlich auch bei der ARD ein Kardinalproblem, das sich juristisch gar nicht lösen lässt: Die Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen – also von Umweltverbänden, Gewerkschaften, Handelskammern – sortieren sich ebenfalls nach parteipolitischer Couleur. Aber das ist ein gesellschaftliches Problem, dass ich nicht dadurch in den Griff bekomme, dass ich die Zahl der offen staatlichen oder parteipolitischen Vertreter in den Gremien begrenze. Das lässt sich nur bekämpfen mit einem Appell an diese Verbände, ihre Rolle ernst zu nehmen – sie sitzen dort als Vertreter der Gesellschaft, nicht der Parteien.
Gemeinsam mit über 30 anderen Rechtsexperten fordern Sie, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Klageberechtigt mit Blick auf die Zusammensetzung der Gremien sind entweder ein Drittel der Mitglieder des Bundestags oder jede Landesregierung. Dort trifft Ihr Vorschlag bislang auf wenig Gegenliebe. Welche Chancen hat der Appell wirklich?
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk war bislang bei den Richtern in Karlsruhe immer in sehr guten Händen. Und natürlich ist das eine vertrackte Forderung: Die Politik soll hier handeln, um ihren eigenen Einfluss im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurückzunehmen – das verlangt ein hohes Maß an Altruismus. Aber die Politiker, die verbal immer stark für die Staatsferne des Rundfunks eintreten – also besonders die von SPD, Grünen und FDP – müssen jetzt Taten folgen lassen. Es geht schließlich um ein ganz hohes Gut, um nichts weniger als die Rundfunk- und Medienfreiheit. Und unsere Demokratie ist auf hochwertige, unabhängige Informationen und die Kontrolle der Politik durch unabhängige Medien angewiesen. Da kommt der ARD wie dem ZDF eine ganz zentrale Rolle zu. Nach der heutigen Entscheidung wird man hier nicht zur Tagesordnung übergehen können.
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