Medienkonzentration in Großbritannien: Aufstieg und Fall des Hauses Murdoch
In Großbritannien musste sich der Medienmogul Rupert Murdoch der Öffentlichkeit stellen. Ein ähnliches Vorgehen gegen Springer in Deutschland wäre undenkbar.
Am Tag zuvor wird Rupert Murdoch im Auto fotografiert, ein alter Mann mit Hut, der gut gelaunt durch London gefahren wird. Jetzt, im Saal der Levenson-Inquiry, die neue Spielregeln für die britische Presse aufstellen soll und sich deshalb vor allem mit Murdochs Einfluss auf die britische Politik und seine Kontakte dort beschäftigt, sieht er müde aus.
Wäre so etwas in Deutschland vorstellbar? Ein Großunternehmer, Multimillionär, Medienmogul muss Rede und Antwort stehe – nicht im privaten Kamingespräch, auch nicht in einem straf- oder zivilrechtlichen Verfahren. Sondern in der britischen Sonderform der Inquiry: öffentlich, mit den gleichen Spielregeln wie im Gerichtsprozess – aber zu Fragen, die weit über den engen Ansatz der reinen Juristerei hinausgehen. Das kommt alles noch – beziehungsweise läuft parallel.
Hier sitzt ein 81-jähriges Feindbild und muss unter Eid aussagen zu seinen ethischen Vorstellungen, von seiner Philosophie sprechen, woran er glaubt, wie er tickt. Hier, in einem schrömmeligen kleinen Nebensaal im Gebäude der Royal Courts of Justice. Vor Lordrichter Brian Levenson, der mit seiner Mimik und seinen trocken-ironischen Einwürfen noch mehr an eine „Wallce & Gromit“-Figur erinnert als zu Beginn der Hearings im November, geht es um mehr.
Der Kaiser ist nackt
Alle Unterlagen, schriftliche Einlassungen, Dokumente stehen im Internet; die Inquiry wird live gestreamt und steht später als Download zur Verfügung; auch die kompletten Wortlautprotokolle werden umgehend online gestellt. Rupert Murdoch ist nackt, inklusive des netten Zitats über den früheren Labour-Premierminister Tony Blair, mit dem würde er sich gut verstehen, allerdings sei das Verhältnis „noch nicht so gut, dass man zusammen die Hosen runterlassen würde“.
Nun sind auch in Großbritannien die Piraten (noch) gar nicht an der Regierung, sondern ein gewisser David Cameron von den Konservativen. Murdoch hat ihn mit ins Amt gehievt, zumindest die politische Unterstützung seiner Blätter umgedreht: Die waren zuvor für einige Jahre Labour-Fans geworden, zur Wahl 2010 trommelte sie wieder für die Konservativen; „Labour’s lost it“, schlagzeilte die Boulevardzeitung Sun.
In Großbritannien haben solche klaren Wahlempfehlungen der Zeitungen eine lange Tradition. (In Deutschland betreibt dies nur die Financial Times Deutschland ganz offen, der große Rest macht’s lieber verdruckst und streitet’s danach ab). Nur: Wie kommt man zu so einer Wahlempfehlung? Und was sind die Gegenleistungen? „Nichts“, sagt Murdoch natürlich, das sei schon bei Margaret Thatcher so gewesen, der Satz wird zum Mantra: „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Premierminister um irgendetwas gebeten!“
Der Premier als Patenonkel
Komischerweise haben sie aber immer gegeben, Maggie Thatcher (regierte 1979–1990) sorgte zum Beispiel dafür, das Murdoch 1981 die Times und die Sunday Times kaufen konnte, ohne sich mit der damaligen Monopolkommission herumärgern zu müssen.
Ihre Antigewerkschaftspolitik ließ Murdoch freie Hand bei seinen Umstrukturierungsplänen. Und auch beim Aufbau des Pay-TV-Senders BSkyB konnte er sich immer auf die Thatcher-Regierung verlassen. Im Jahr 1997 schwenkten Murdochs Zeitungen darauf um, Labour zu unterstützen, und Tony Blair ist sogar Patenonkel eines Murdoch-Nachzüglers.
In Sachen Europapolitik sei ihm Blair wirklich mal entgegengekommen, wenn man das so nennen wolle, sagt Murdoch irgendwann etwas gedankenverloren, aber da sei es doch um gemeinsame politische Gedanken gegangen, nicht handfeste Politik. „Alles weiter Gehende wäre unethisch gewesen, bekräftigt Murdoch, „höchst unethisch. Und deshalb habe ich es auch nicht getan.“
Politische Macht nur angedichtet?
Was für eine herrliche Vorstellung, passend zum nächste Woche anstehenden hundertsten Geburtstag: Da säße ein Axel Springer. Oder zumindest die Nachgeborenen, die heute das größte deutsche Zeitungshaus führen, dessen Bild einst mit der im Zuge des Abhörskandals eingestellten News of the World von Murdoch um den Titel als größte Zeitung Europas rang. Auch bei Springer beteuern Chefredakteure gern, dass ihnen politische Macht nur angedichtet wird.
Dazu passt auch der andere Satz, den Murdoch im Untersuchungsausschuss immer wieder anbringt: „Wir haben in unseren Zeitungen nie unsere Unternehmensinteressen gepusht.“ Das dürfte sogar eher noch für Murdochs Blätter als für Springer-Zeitungen gelten. Unvorstellbar auch, dass deutsche Redaktionen, längst nicht nur bei Springer, ähnlich offen über den eigenen Vorstandschef und seine Leichen im Keller schreiben, wie das Times und Wall Street Journal über Murdoch tun.
Ausnahmegenehmigung für den Wahlhelfer
Doch die Politik steht genauso unter Beschuss, allen voran Premierminister David Cameron, der sich kurz nach seiner Wahl mit einem Wunsch konfrontiert sah: Murdoch wollte BSkyB gern ganz übernehmen (bislang hat er zwar das Sagen, ihm gehörten aber nur rund 40 Prozent). Machbar war das nur mit einer Ausnahmegenehmigung der Regierung, doch Medienminister Vince Cable vom liberalen Koalitionspartner war dagegen.
Abwarten und Tee trinken, hieß offenbar die Devise: Camerons Regierung muss derzeit erklären, warum sie nur zwei Treffen zwischen dem Premier und Rupert Murdoch seit Camerons Regierungsantritt im Mai 2010 zugegeben hat, wenn der Medienmogul vor der Inquiry schon fünf Begegnungen aufzählt.
Am Ende bekam Murdoch, was er wollte: Murdoch-Feind Cable wurde von Cameron gegen durch den bis heute amtierenden Jeremy Hunt ausgetauscht – und der soll, so erzählte es Murdoch-Sohn James bei der Anhörung, sogar ranghohen Leuten bei BSkyB vertrauliche Informationen gesteckt haben, wann und wie er zu entscheiden gedenkt.
Hunt dementiert seit drei Tagen und hat einen angeblich verantwortlichen Berater rausgeschmissen, trotzdem dürften seine Tage gezählt sein: Hunt sei kein Minister für Medien, Kultur und Sport, sondern ein „Minister for Murdoch“, titelte die Zeitung Guardian.
Eine gute Sache, dieses Kreuzverhör
Im Namen der Queen findet die Inquiry statt, die Cameron wollte, auch um sich von Murdoch zu befreien. Nun wird sie zum Bumerang. Und Murdoch, der zunächst sauer darüber gewesen sein soll, was Freund Cameron ihm da stundenlang an ethisch-philosophisch-knallhartem Kreuzverhör zumutet, findet’s zumindest fürs Protokoll klasse: Er halte die Levenson-Inquiry für eine „gute Sache“, zumal die Missstände im Presse- und Medienbereich „weit über den Phonehacking-Skandal hinausgehen“.
Nur eben mit dem einen dummen Vorurteil möchte Murdoch aufräumen: dass alle nach seiner Pfeife tanzen. „Nicht alle“, sagt da Lordrichter Levenson und grinst sein sibyllinisches Lächeln.
Vielleicht sollte man auch deutsche Medienskandale – zum Beispiel die des MDR – mal so aufarbeiten. Dann könnten auch Exsenderbosse peinlich befragt werden, ohne dass man ihnen gleich Vorsatz nachweisen müsste – was derlei Unterfangen in Deutschland so schwierig macht.
Während Aufstieg und Fall des Hauses Murdoch in diesen Tagen in London zelebriert wird, rüstet sich Deutschland zur Jubelfeier für Axel Springer. Das entsprechende Tribunal, übersetzt ins 21. Jahrhundert, findet gerade an der Themse statt.
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