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Medien„Die Paste ist ausder Tube“

Die Erwartungen sind groß, die Gefahren noch größer: Künstliche Intelligenz frisst sich in und durch den Alltag deutscher Zeitungsredaktionen. Immer öfter wird klassischer Journalismus zur Seltenheit. Oder sogar zum Störfaktor.

Maschinen übernehmen menschliche Arbeit – vermehrt auch beim Schreiben journalistischer Texte. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Johanna

Henkel-Waidhofer

Zufallsumfrage in einem Stuttgarter Café mit tageszeitungsaffinem Publikum: Wer hat eigentlich auf dem Schirm, wie viel Gelesenes nicht mehr allein oder sogar im Wesentlichen auf menschliche Intelligenz zurückgeht? Aus den Reaktionen spricht ein Mix aus Unwissenheit, Skepsis und Verblüffung.

Einen „Durchblick“ nehmen zwei Nerds für sich in Anspruch, die auch gleich auf die seit 2. Februar geltende neue EU-Gesetzgebung hinweisen zum Einsatz von KI oder englisch AI (Artificial Intelligence). Unter vielem anderen sollen die Regeln mit für den Schutz menschlicher Kreativität sorgen. Unstrittig ist die gewollte Vorreiterrolle der EU, die die erste umfassende Regulierung von Künstlicher Intelligenz weltweit auf den Weg gebracht hat. Ein Teil ist das Verbot, Verhalten und Emotionen zu erfassen und zu bewerten oder Systeme manipulativ einzusetzen, Gesichtserkennung im öffentlichen Raum wird strengen Regeln unterworfen. Hochriskante KI-Systeme – zum Beispiel in den Bereichen kritische Infrastruktur, Beschäftigung sowie Gesundheits- oder Bankenwesen – müssten eine Reihe von Anforderungen erfüllen, um für den EU-Markt zugelassen zu werden, schreibt die Bundesregierung in einem Erklärtext. Außerdem seien „künstlich erzeugte oder bearbeitete Inhalte (Audios, Bilder, Videos) als solche eindeutig zu kennzeichnen“.

Die dpa sieht vor allem viele Chancen

Nach dem Brüsseler Zeitplan müssen bis Anfang Mai Anbieter von KI-Modellen für allgemeine Zwecke, wie es offiziell heißt, ihre Verhaltenskodizes vorlegen, darunter die Anstrengungen zur Schulung von Beschäftigten. Drei Monate später sollen die Mitgliedsstaaten der Kommission über den Stand der finanziellen und personellen Ressourcen der zuständigen nationalen Behörden berichten. Und dann bleiben zwei Jahre Zeit, um darzulegen, wie die Vorgaben umgesetzt worden sind. Ab 2028 wird die EU alle drei Jahre die Wirksamkeit überprüfen und gegebenenfalls nachsteuern.

Für Printprodukte werden die Auswirkungen unterschiedlich bewertet. Einigkeit besteht darin, dass es längst nicht mehr um Zukünftiges, sondern um die Gegenwart geht. „Die Paste ist aus der Tube“, schreibt die Deutsche Presse-Agentur (dpa) überraschend offenherzig und stellt fest: „Wir können den Risiken und Herausforderungen Künstlicher Intelligenz nur begegnen, wenn wir die vielen Chancen nutzen, die sich aus dem Einsatz dieser innovativen Werkzeuge ergeben.“ Fakt sei, „dass KI gekommen ist, um zu bleiben“, schreibt die Agentur mit einer Tageszeitungsreichweite in Deutschland von 95 Prozent.

Zum Beispiel verwenden die Dortmunder „Ruhr Nachrichten“ neue Technik. Seit fast einem Jahr sind in deren zwölf Lokalredaktionen sogenannte KI-Reporter:innen im Einsatz. „Losgelöst von anderen Aufgaben“, wie Jens Ostrowski erläutert, produzieren sie Inhalte, suchen Themen und ergiebige Quellen – und sie bedienen sich dabei der Hilfe von KI. Eben erst hat den 62-Jährigen der Branchen-Dienst Kress zum „Chefredakteur des Jahres“ gekürt, weil er „eindrucksvoll zur Transformation beiträgt, etwa durch dateninformiertes Arbeiten, das sich an den Bedürfnissen der Leser orientiert“. In einem Interview erklärt Ostrowski den „Optimalfall“, innerhalb von 30 Minuten eine 200 Zeilen lange Geschichte erstellt zu haben, „die nicht nur hilft, die Zeitung mit gutem Content zu füllen, sondern die auch digital funktioniert“. Das Prinzip: „Wir schauen, wie wir die Inhalte aufwerten können.“

Das Publikum will Trasnparente und klare Regeln

Im vergangenen Herbst hat der deutsche Presserat die für mit menschlicher Intelligenz erstellten Inhalte auf KI erweitert: „Wer sich zur Einhaltung des Pressekodex verpflichtet, trägt die presseethische Verantwortung für alle redaktionellen Beiträge, unabhängig von der Art und Weise der Erstellung. Diese Verantwortung gilt für künstlich generierte Inhalte ebenso.“ Zusätzliche Änderungen im Pressekodex, etwa eine Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Texte, seien „derzeit nicht erforderlich“, weil es für die ethische Bewertung von Beschwerden keine Rolle spiele, wer mit welchen Hilfsmitteln einen Beitrag erstellt hat. Die presseethische Verantwortung, zum Beispiel für die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht, liege weiter uneingeschränkt bei den Redaktionen, heißt es.

Allein Bilder, nicht aber mit KI erstellte Texte müssen danach gekennzeichnet werden. Eine einschlägige Rüge vom Dezember 2023 wirft ein grelles Licht auf die Problematik über Bilder hinaus. Die Zeitschrift „Lisa“ des Burda-Verlags hatte 99 Pasta-Rezepte zum Nachkochen mit Hilfe von Software generiert. Nach Ansicht des Presserats hätten Illustrationen gekennzeichnet werden müssen. Der Verzicht habe „zu einer Irreführung der Leserinnen und Leser geführt“. Hinsichtlich der Rezepte wurde kein Verstoß festgestellt, weil – die Katze beißt sich ganz ohne KI in den Schwanz – „in Bezug auf Texte keine Kennzeichnungspflicht besteht“.

Über Letztere wird ebenfalls schon seit Längerem diskutiert. „Ob KI den Journalismus und die Demokratie vorantreibt oder zersetzt, liegt in der Hand des Gesetzgebers“, heißt es in einem Positionspapier des Deutschen Journalistenverbands (DJV), „denn Journalismus und Gesellschaft brauchen Leitlinien für einen klugen, gesunden Umgang mit diesem Werkzeug – so schnell wie möglich.“ Auch in einer Studie der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen zur Akzeptanz von KI in der Medienbranche werden Kennzeichnungs- und Rechenschaftspflichten verlangt. Alle Landesmedienanstalten haben im vergangenen Frühsommer 3.013 Personen befragt, unter anderem zur Kennzeichnung von Inhalten. 70 Prozent forderten Transparenz und klare Regeln – in der Werbung ebenso wie im Journalismus.

Manche Praktiker:innen stellen sich vor, den Spieß umzudrehen und weit überwiegend mit menschlicher Intelligenz erstellte Texte mit einer eigenen Kennzeichnung zu versehen. So könnten sogar neue Geschäftsmodelle wie Pay-Walls höher gezogen und entsprechende Inhalte teuer angeboten werden. Jan Georg Plavec, Leitender Redakteur für Datenjournalismus und Datenprojekte der „Stuttgarter Zeitung“/“Stuttgarter Nachrichten“, hat kürzlich in einer Web-Debatte die Idee entwickelt, „handgemachtem Premiumjournalismus“ eine Sonderstellung einzuräumen. Den „menschlichen Faktor“ sieht er „garantiert, solange Menschen mit Profil der Redaktion erhalten bleiben“. Dort wird aber mitunter am Personal gespart.

Ein Zauberwort, um Leser:innen und Nutzer:innen für ein Thema zu interessieren, ist Recherche. Als leicht fassliches Beispiel gelten in Erklärtexten und auf einschlägigen Portalen die „Panama Papers“. Vor zehn Jahren wurden Bastian Obermayer von der „Süddeutschen Zeitung“ etwa 11,6 Millionen Dokumente zugespielt, die mit KI zu durchleuchten waren. „Keine Redaktion der Welt hätte geschafft, das zu analysieren“, heißt es in einem für eine Kurzstudie der Hans-Böckler-Stiftung geführten Interview. Herausforderungen und Notwendigkeiten sind aus Beschäftigtensicht bewertet. Gerade am Thema Recherche scheiden sich jedoch die Geister, weil einerseits, siehe „Ruhr Nachrichten“, die Vorteile der Automatisierung für gestraffte Arbeitsabläufe hervorgehoben werden, andererseits aber Menschen nur im Gespräch auf zusätzliche Aspekte kommen und so einem Text oder einem Radiobeitrag der journalistische Stempel aufgedrückt wird.

„Hey - ich bin die KI von Bild“

Wer niederschwellig einsteigen will ins komplexe Thema, kann Frage-Antwort-Angebote von Zeitungen nutzen. Wie etwa das „Experiment“, wie die Verantwortlichen der „Zeit“ schreiben, eine Anwendung, die Leser:innen „helfen soll, aktuelle Ereignisse und Themen besser zu verstehen, die Sie bislang vielleicht verpasst oder nur am Rande verfolgt haben“. Mithilfe von künstlicher Intelligenz suche das Tool in den Artikeln der vergangenen 30 Tage nach Informationen, ältere Texte seien ausgeschlossen, damit nur der neueste Wissensstand in die Antworten der KI einfließt.

Der Boulevard ist ähnlich unterwegs. Das Programm „Hey – Ich bin die KI von Bild“ antwortet auf Fragen in Echtzeit mit Fußnoten zu den Quellen. Im aktuellen Test wird etwa zu „Hat Angela Merkel recht mit ihrer Kritik an Friedrich Merz?“ in Sekundenschnelle diese Antwort ausgeworfen: „Angela Merkels Kritik an Friedrich Merz wird von vielen als gerechtfertigt angesehen, da sie die Zusammenarbeit mit der AfD als eine Überschreitung einer roten Linie betrachtet, die Merz selbst zuvor anerkannt hatte. Diese Haltung wird auch von anderen Parteien unterstützt, die Merkels Position als notwendige Erinnerung an die staatspolitische Verantwortung von Merz sehen. Kritiker von Merz argumentieren, dass sein Vorgehen die CDU intern spaltet und dem Ansehen der Partei schadet.“

Das Experiment hat Charme, denn der Blattlinie entspricht die Darstellung sicher nicht. In der gedruckten Bild oder im E-Paper werden zeitgleich ganz andere Positionen bezogen, die Merz stützen und Merkel rügen. Insofern müsste die KI noch nacharbeiten.

In dem Stuttgarter Café wird von Konsument:innen der guten alten Tageszeitung inzwischen doch über ChatGPT und so weiter diskutiert. Zügig stellt sich Einigkeit ein über die Notwendigkeit von Transparenz und Kennzeichnung. Bis zwei Fragen ohne Antwort in der Luft hängen bleiben: „Und was macht ihr dann, wenn unter jedem Artikel der Hinweis ‚erstellt mit KI‘ steht? Ist das dann noch seriös?“

Transparenzhinweis: Der Text ist – wie stehts bei Kontext – ohne KI-Unterstützung erstellt worden.

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