■ Mathias Richling zum Nach-Kohl-Bedürfnis im Kabarett: „Keine Witze über seinen Namen!“
Nach Kohl die Sintflut. Künstler fürchten mit der voraussehbaren Kanzlerdämmerung im Herbst um ihre Existenz. Gibt es noch ein Kabarett nach Kohl?
taz: Ein kluger Kritiker hat dir neulich chirurgische Fähigkeiten attestiert und bewundernd festgestellt, in deinem Kopf rotiere das deutsche Wesen im Schleudertempo. Bist du der Hauptwaschgang der Nation oder der politische Saubermacher vom Dienst?
Mathias Richling: Schön wär's! Nein, im Ernst: da sage ich doch selber nichts dazu. Ich kann schlecht noch meine eigenen Kritiken schreiben. Wenn ich Texte für mein Programm verfasse, dann stelle ich mich nicht hin und liefere die Interpretation dazu.
Dein mit temperamentvoll-rasanter Mimik und nervöser Gestik vorgetragener politischer Spott mutet in diesen Gefilden immer noch exotisch an. Verdienen die Deutschen deinen Humor?
Ob sie ihn verdienen, weiß ich nicht. Es ist schon etwas Wahres dran, wir Deutschen sind all das, was man uns nachsagt: zu ruhig, zu folgsam, zu bedächtig, zu langweilig. Entsprechend ist unser Satireverständnis. In England sind die Leute furchtbar spröde und empfindlich, ihre Werte sind unvorstellbar konservativ und puritanisch. Die Briten leisten sich aber einen lässigen Humor und einen gekonnten Sarkasmus gegen die eigene Regierung und die von ihnen heiß und innig geliebte Krone, daß es einem regelrecht die Socken auszieht. Ich habe Sachen in den englischen Satiresendungen wie „Spitting Image“ gesehen, das würde hier nicht laufen. Ich selbst, der nun wirklich kein Blatt vor den Mund nimmt, hätte da manchmal Probleme bekommen. Und hier? Hier muß man den Menschen hinter jeder Pointe sagen, daß es Satire ist, bevor sie wagen dürfen zu lachen. Mir ist es einige Male passiert, daß während der Ausstrahlung meiner Programme in den Öffentlich- Rechtlichen das Wort „Satire“ extra eingeblendet wurde.
Du bist mit der Satiresendung „Jetzt schlägt's Richling“ vor Jahren wegen einer Papst-Verballhornung Opfer der öffentlich-rechtlichen Moralapostel geworden. Darf Satire an Grenzen stoßen?
Sie muß! Sie sollte, will sie gut sein, sogar darüber hinausgehen. Die einzig vorstellbare Grenze für mich ist, Dinge auf den Arm zu nehmen, für die das Opfer meiner Ironien offensichtlich nichts kann. Namen zum Beispiel. Ich finde es lächerlich, über Kohl allein vom Namen her Witze zu machen. Wie Kohlkopf und so. Mein Gott, für seinen Namen ist der Mann am wenigsten verantwortlich. Er kann etwas dafür, daß er sich benimmt wie ein Kohlkopf, aber das ist dann wieder eine andere Geschichte ... Ein weiteres Tabu, das ich akzeptiere, betrifft das Nichtthematisieren von körperlichen Behinderungen.
Du verehrst den Komiker Karl Valentin sehr. Von ihm stammt das Zitat „Fremd ist der Fremde in der Fremde“. Muß man sich in diesem Land fremd fühlen, um überhaupt Kabarettist werden zu können?
Eine gute Frage. Es kommt mir oft im Gegenteil so vor, als ob wir Kabarettisten uns eigentlich viel zu heimisch fühlen und die Politiker das verfremden wollen, was wir bewahren möchten. Wir sind zynischerweise die echten Konservativen geworden. Stichwort Grundgesetz: Eine neue Verfassung wird geschrieben. Und schon fummeln alle klassischen Parteien an Grundrechten. Lauschangriff, Asylrechtsabschaffung, Pressefreiheit – die Liste fast rechsradikaler Anschauungen, die neu verbrieft werden sollen, ist beliebig erweiterbar. Oder: Sozialstaat ja, aber wenn wir viele Arbeitslose oder viele Sozialfälle haben, dann muß er weg, weil ihn dann der Staat nicht mehr bezahlen kann. Motto: Wir können uns den Sozialstaat nur leisten, wenn ihn keiner in Anspruch nimmt. So ist es auch beim Grundgesetz. Wir können uns die Verfassung nur leisten, solange sie keiner in Anspruch nimmt. Asyl? Aber natürlich allen, gerne! Ach, sie kommen wirklich, nee, dann schnell das Grundgesetz abschaffen. Also: die wahren Fremden sitzen an den Bonner Schaltstellen der Macht.
Können sich Kabarettisten nach Mölln und Solingen noch ungezwungen an das Thema Rassismus heranwagen?
In der Tat, Texte zu dem Thema Ausländerfeindlichkeit, die ich auch vor diesen schlimmen Ereignissen vorgetragen habe und die ganz eindeutig aufgenommen wurden, führen jetzt plötzlich zu Irritationen. Ironie wird auf einmal wörtlich genommen und Satire als Realität verstanden. Trotzdem muß man mit so einem Thema immer noch brutaler umgehen, als es tatsächlich ist. Ich nehme es selbstverständlich in das Programm auf und haue dem Publikum die möglichen Folgen um die Ohren. Ich mache keine Witze darüber, aber ich sage zum Beispiel: „Mölln und Solingen? Gott, wir sollen ja nur nichts gegen Juden haben. Und Juden waren keine dabei! Also was hat die Welt gegen uns?“ ...
Zurück zur Satire. Wenn du vom Vatikan – gegen kräftiges Honorar, versteht sich – als Berater angeheuert würdest, was wäre dein dringendster Rat an den Papst?
Ich würde ihm als erstes empfehlen, ein Kondom überzuziehen.
Safer popes, sozusagen! Und Kohl? Kohl ist die Figur, auf die du dich lange Jahre mit Genuß gestürzt hast ...
... aber ich kann auch loslassen. Meine Nach-Kohl-Neurose, darauf zielt die Frage wohl ab, hält sich in Grenzen. Ich habe in meinem neuen Programm für Kohl nur die letzten zehn Minuten reserviert. Den ganzen Abend spreche ich nicht über ihn. Du siehst, sein Abgang ist vorgezeichnet. Wenn er uns eines schönen Tages nicht mehr anpöbelt, warum soll ich ihn dann noch anpöbeln? Schade um seine unnachahmlichen Sprachschöpfungen, aber – mein Gott! – was nicht alles im Leben ist schade.
Ende des Jahres wird es voraussichtlich eine neue Volkskrankheit geben – und zwar den Wahlarm. Welche Prophylaxe empfiehlt Richling?
Gegen den steifen Arm? Ja, vielleicht schaffen die Wähler es, mit den Füßen abzustimmen oder mit der linken Hand. Interview: Franco Foraci
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