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Archiv-Artikel

Marxist trifft Neoliberalen: Die Chefs von FDP und WASG sind sich näher, als man denkt „Wir sind ja nicht blöd. Zumindest nicht ganz“

Wenn es zwei Landespolitiker gibt, die unterschiedlicher kaum sein können, dann sind es Martin Lindner (FDP) und Michael Prütz (WASG). Der Erstgenannte, Bayer von Herkunft und Gemüt, trägt gern gut sitzende Anzüge und zurückgegelte Haare. Hingegen bevorzugt Prütz schlichtes Beinkleid und eine runde, dünne Brille unter dem schütteren Haupthaar. Auch die politischen Ansichten der Parteichefs liegen so weit voneinander, dass ihr bloßes Aufeinandertreffen skurril wirkt. Hier der erklärte Wirtschaftsfreund, dort der Marxist.

„Klassenkampf kann lustig sein“ wäre ein guter Titel gewesen für das Zwiegespräch der beiden Parteioberen am Dienstagabend. Die Diskussion im Abgeordnetenhaus hatte stattdessen das schmissige Motto „Markt oder Marx?“ verpasst bekommen. Hintergrund: Beide Parteien drängen derzeit sichtlich in die Öffentlichkeit, denn gerade die Oppositionskräfte können sie im Wahlkampf brauchen. Da hilft es sogar, wenn die Kontrahenten beim Verbalduell um „die richtige Zukunft für Berlin“ unvereinbar scheinen.

Den linken Arm auf einen Oberschenkel gestützt, erklärte Lindner den rund 40 Anwesenden erst einmal, auf welcher ideologischen Seite des Grabens seine Partei steht. Eine Staatsquote von 70 Prozent geißele noch immer die Berliner Wirtschaft: „Jedes Gurkenglas wird hier von einem Staatsunternehmen abgekarrt.“ Auf der Suche nach griffigen Metaphern trug es den FDP-Fraktionschef ab und an aus der Bahn. Es gehe nicht an, dass der Staat sich aufspiele als „große Mutter mit riesigen …“ – hier stockte Lindner kurz – „ … Brüsten, an denen das ganze Volk hängt“. Ein „Schiedsrichter“ tue es auch. Im Übrigen vertrete er „neoliberale Politik“ im Sinne des Wirtschaftswissenschaftlers Milton Friedman.

Das traf den Nerv von WASG-Vorstandsmitglied Prütz: „Die staatlichen Funktionen dürfen nicht reduziert werden“, sagte der Kreuzberger Versicherungsmakler. Lindner lachte laut auf, als Prütz aufzählte, welche Bedingungen die WASG vor einem Eintritt in eine Landesregierung stelle. „Keine einzige Privatisierung“ dürfe der rot-rote Senat künftig genehmigen. Die verkaufte Wohnungsbaugesellschaft GSW und die Wasserbetriebe gehörten zurück in Landesbesitz.

Außerdem forderte er: Rücknahme der jüngsten Tarifverträge im öffentlichen Dienst und in Landesunternehmen, „kein Umzug wegen Hartz IV“, „freie, ungehinderte und kostenlose“ Schulen und Unis. Noch bevor Lindner antworten konnte, sagte Prütz: „Daran ist nicht zu denken. Wir sind ja nicht blöd. Zumindest nicht ganz blöd.“

Lindners Liste war kürzer, aber auch ganz schmissig formuliert: „Wir wollen aus einer Stadt des Staatsmonopols eine Stadt des Wettbewerbs machen.“ Bei den Privatisierungen „muss es erst mal richtig losgehen“. Alle landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften will die FDP verkaufen. Auch die BVG solle private Eigentümer finden, allerdings blieben Netze und Tunnel in staatlicher Hand.

An all das ist derzeit nicht zu denken. Auch Lindner ist ja nicht blöd. Niemand wird die FDP nach der Abgeordnetenhauswahl im September zum Regieren brauchen. Und der Konfrontationskurs der WASG gegenüber der Linkspartei könnte Prütz’ Mannschaft bald selbst aus der Kurve tragen. Ob sie bei der Wahl ohne und gegen die Linke über die Fünfprozenthürde klettert, ist unklar.

Nicht nur ihre politische Not und den Hang zur Polemik teilen Lindner und Prütz. Aus entgegengesetzten Richtungen feuern beide mit Vorliebe auf die Linkspartei. Für Lindner sind Wirtschaftssenator Harald Wolf & Co. nur „Knechte“ des Regierenden Bürgermeisters. „Wowereit ist einer, der sucht den geringsten Widerstand.“ Den finde er bei der Linkspartei. „Mal gibt es etwas Widerstand für die Galerie“, aber dabei bleibe es. Mit Blick auf die 31 und 33 Jahre alten Partei- beziehungsweise Fraktionschefs der Linken sagte Lindner, den auf Kader gedrillten Genossen würde regelmäßig „so’n Baby davorgesetzt“. Lindner wurde mit 37 Fraktionsvorsitzender.

Gemeinsame Abneigungen schaffen Vertrauen – selbst zwischen dem Berufsoppositionellen Prütz („Das kapitalistische System ist am Ende. Ganz klar!“) und dem bekennenden Neoliberalen Lindner („Wir brauchen viel mehr Kapitalismus!“). „Mir gefällt das“ mit der FDP, sagte Prütz. Gemeinsam könnten sie in der „verkalkten Bude“ namens Abgeordnetenhaus die Opposition ordentlich aufmischen. Das gefiel dem FDP-Chef. Auch er wolle politische Unterschiede sehen – und keinen sozialdemokratischen „Matschebrei aus unterschiedlichen Milieus“.

MATTHIAS LOHRE