Maren Ade im Berlinale-Wettbewerb: Eine Art Belagerungszustand

Mit jedem Missverständnis stellt sich die Frage neu: Was macht Beziehung eigentlich aus? "Alle anderen" der jungen Regisseurin Maren Ade (im Wettbewerb) beobachtet genau.

Gitti (Birgit Minichmayr) und Chris (Lars Eidinger) erfüllen Kriterien eines Lebensmodells, das sie erst noch mit Leben füllen müssen. Bild: berlinale

Es hätte ein ganz normaler Urlaub werden sollen: kein Drama, keine Paartherapie, einfach mal raus aus dem Alltag. Der Alltag aber eröffnet eine Vielzahl an Flucht- und Rückzugsmöglichkeiten, die ein Ferienhaus per se nicht bietet. Chris und Gitti verbringen in "Alle Anderen" ihren Urlaub im Haus seiner Eltern auf Sardinien.

Man erfährt wenig über die Vorgeschichte ihrer Beziehung, wie lange sie sich kennen, woher sie kommen. Regisseurin Maren Ade vertraut darauf, dass sich ihre Figuren allein aus sich selbst heraus und ihren mitunter seltsamen Übersprungshandlungen erklären. Sie zu verstehen, ist Ades Anspruch nicht; in ihrer bescheidenen Art würde sie das womöglich sogar als anmaßend empfinden.

Ades Filme zeichnet eine beinah unheimliche Präzision in ihren Beobachtungen aus, die allesamt das Resultat harter Arbeit sind. In ihrem Abschlussfilm "Den Wald vor lauter Bäumen" trotzte sie selbst den latent zur Flüchtigkeit neigenden Digitalbildern noch einige hochkonzentrierte Einstellungen ab. "Alle Anderen" ist nun auf Film gedreht.

Maren Ade arbeitet in erster Linie mit Charakteren. Man könnte "Alle Anderen" leicht als einen Film über eine langsame Trennung missverstehen. Ein Paar, das sich in die Isolation einer Insel zurückzieht; es gibt kein Entkommen mehr vor den kleinen Unstimmigkeiten und Konflikten einer Beziehung - so ein Paarurlaub ist ja auch eine Art Belagerungszustand. Jedes falsche Wort steht für eine weitere Zuspitzung des Alltags.

Als Zuschauer beginnt man sich zunehmend zu fragen, was die impulsive Gitti und den introvertiert-zweiflerischen Chris eigentlich zu einem Paar macht. Beide haben Jobs, die, lebt man in Berlin oder München, für die Anfang-Dreißiger-Generation der Nuller-Jahre geradezu typisch scheinen: Sie arbeitet in der Musikbranche, er ist freischaffender Architekt. Es wird das einzige Klischee des Films bleiben, weil Ade, die auch das Drehbuch geschrieben hat, nicht primär an einem Generationsporträt interessiert ist, sondern an der spezifischen Situation ihrer Figuren. Gitti und Chris erfüllen Kriterien eines Lebensmodells, das sie erst noch mit Leben füllen müssen. Ade geht aber weiter. Die Frage, was die Beziehung zwischen zwei Menschen überhaupt ausmacht, stellt sich bei ihr mit jedem Missverständnis und jeder Versöhnungsgeste aufs Neue.

Erst als ein zweites Paar in den Film tritt, wird klarer, dass "Alle Anderen" eigentlich davon handelt, wie man die Widersprüche einer Beziehung und die damit verbundenen Erwartungen und Enttäuschungen miteinander vereinbart. Hans und Sana sind ganz anders als Gitti und Chris. Für Chris, der gerade einen Projektantrag verloren hat und sich in seiner passiv-aggressiven Art seine Wunden leckt, ist Hans Feindbild und heimliches Rollenmodell zugleich. Das gilt in gewisser Hinsicht auch für Hans Beziehung zu Sana, die zwar alte Rollenmodelle perpetuiert, dafür aber wenigstens zu funktionieren scheint. Gitti und Chris dagegen suchen noch nach ihrer Rolle, und das Ferienhaus der Eltern liefert die Kulisse für diese Selbstfindung.

Letztlich entpuppt sich "Alle Anderen" - wie schon "Der Wald vor lauter Bäumen" - aber doch als Film über eine junge Frau, die ihr Verhältnis zu ihrer Umwelt neu justieren muss. Birgit Minichmayrs Rastlosigkeit macht Gittis innere Unruhe auf der Leinwand förmlich spürbar, während die Entwicklung von Chris aus unergründlichen Gründen auf halber Strecke steckenbleibt. Wer es denn möchte, wird kein Problem haben, "Alle Anderen" im Kontext der so genannten Berliner Schule zu verorten - dazu reicht schon ein kurzer Blick in die Credits und Dankliste des Films. Abseits rein geografischer Spezifika lässt sich unter diesen im Grunde sehr unterschiedlichen Filmen dennoch ein gemeinsamer Trend erkennen: die beinah defensive Strategie, eine gesellschaftliche Gefühlslage anhand von Paarbeziehungen artikulieren zu wollen.

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