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Manoel de Oliveira über die Kunst des Lebens"Wir sind einfach da. Voilà"

Manoel de Oliveira ist der älteste aktive Filmregisseur der Welt. Der 1908 geborene Portugiese zeigt auf der Berlinale sein neues Werk "Singularidades de uma rapariga loura" - "Die Eigenheiten einer jungen Blondine".

Manoel de Oliveira während der Dreharbeiten zu seinem Film «Singularidades de uma rapariga loura» in Lissabon. Bild: dpa
Ines Kappert
Interview von Ines Kappert

Bild: ap
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Manoel de Oliveira, geboren 1908 in Porto, ist ein Großmeister des europäischen Autorenkinos und mit seinen hundert Jahren der älteste aktive Regisseur weltweit. Sein Debüt "Douro, Fania Fluvial" (ein Stummfilm) drehte er 1931. Als "Aniki Bóbó" 1942 floppte, wendete er sich dem Portweinanbau zu. Erst 1972 wurde er erneut als Regisseur aktiv. Seitdem hat er etwa 20 Spielfilme gedreht, unter anderem mit Catherine Deneuve und Marcello Mastroianni. Sein bekanntester Film dürfte "Am Ufer des Flusses" (1994) sein. Sein neuestes Werk heißt "Singularidades de uma rapariga loura" - "Die Eigenheiten einer jungen Blondine". Es ist eine Verfilmung der gleichnamigen Kurzgeschichte von Eca de Queiroz. Erzählt wird die Begegnung eines Buchhalters mit einem blonden Mädchen. Dieses leidet an Kleptomanie - einer Krankheit, für die ihr zukünftiger Mann kein Verständnis aufbringt. Der nämlich duldet keinerlei Verstoß gegen die Regeln des Bürgertums. Nachdem das Mädchen einen Ring zu stehlen zu versuchte, verstößt er sie ohne zu zögern. Trotz seines mittlerweile hohen Alters weist de Oliveira keine Anzeichen von Gebrechlichkeit auf. Sein Französisch ist fließend. Ein Mann, der hört, was er hören möchte, und sagt, was er sagen möchte. Jemand, der sich freut, wenn das Gespräch lebendig wird.

taz: Herr Oliveira, für die Bourgeoisie empfinden Sie nicht eben viel Sympathie, richtig?

Manoel de Oliveira: Warum sagen Sie das?

Weil Sie in Ihrem neuen Film, "Singularidades de uma rapariga loura" einen grausam unerbittlichen Blick auf sie werfen.

Sie sind grausam, wenn Sie das sagen (lacht). Nicht ich habe die Bourgeoisie, die Armen und die Elite geschaffen, sondern oben und unten hat es immer schon gegeben. Das macht die Natur.

Die Natur, nicht die Gesellschaft schafft Armut?

Das ist nicht so einfach zu entscheiden. Und schon gar nicht ist es die Aufgabe eines Künstlers, das zu entscheiden. Ein Künstler zeigt das, was da ist. Er zeigt, dass wir uns in einer ewigen Wiederholungsschleife befinden. Für die Zukunft der Menschheit oder der Humanität ist er nicht verantwortlich. Niemals. Das ist Aufgabe der Politik. Die Künstler arbeiten mit den Resultaten der Politik, nichts anderes. Gleichzeitig ist der Künstler weder für noch gegen das Leben. Er unterwirft sich ihm. Und wenn man das Böse aus der Welt schaffen will, dann verliert man auch das Gute. Gut und Böse gehören zusammen. Ein Mensch, der Böses getan hat, kann gleichzeitig sehr gute Dinge tut. Der Papst hat gesagt: Es gibt immer etwas, was wir nicht verstehen. Und das Mysterium verlangt, dass wir leiden. Ich fand das sehr gut.

Sie leiden gerne?

Ich schätze Tolstoi sehr. Er hat gesagt, wenn jemand stirbt, dann sieht er eine Tür. Und erst wenn wir ihre Schwelle überschritten haben, dann verstehen wir vielleicht, warum wir leiden müssen.

Warum darf die männliche Hauptfigur in Ihrem Film nichts richtig machen? Haben Sie gar kein Mitleid mit Macário?

Es stimmt, für den Buchhalter fehlt mir jedes Mitgefühl. Ich fühle nur mit der Frau. Und Eça de Queiroz, der Autor der Kurzgeschichte, die ich verfilmt habe, versteht einfach nicht, dass ihre Kleptomanie eine Krankheit ist. Sie kann nichts dafür. Aber das Leben ist sehr grausam, sehr grausam.

Sich seine Zukunft zu ruinieren für einen Ring, der 500 Euro kostet, ist allerdings grausam.

Vor allem sind die Menschen grausam. Unter Tieren gibt es keine Rache, bei uns schon. René Girard schreibt in "Das Heilige und die Gewalt", das grausamste Gefühl, das Menschen entwickeln könnten, sei die Rache. Der Mensch opfert geliebte Menschen, häufig nur aus Rache. Kein Tier würde so etwas tun. Die condition humaine ist schrecklich.

Deswegen hat Ihre Interpretation des Schicksals des Menschen etwas sehr Gnadenloses?

Nein. Ich will nur nichts schönreden, ich will die Lüge des Menschen nicht schönreden. Die menschliche Gesellschaft ist nun mal schlecht. So ist das Leben, und man muss die Bedingungen des Lebens akzeptieren. Gleichzeitig ist es einfach, das Leben zu meistern. Man muss nur das Kommende respektieren. Das heißt: Man muss den Egoismus, die Rache, die Eifersucht, die Gewalttätigkeit der anderen akzeptieren. Einfach nur das.

Demnach gibt es keinen freien Willen?

Das ist ganz schwer zu sagen. Spinoza, den ich ebenfalls sehr schätze, sagte: Wir verstehen uns nicht, weil wir die dunklen Kräfte, die uns beherrschen, nicht verstehen. Und deshalb können wir auch nicht die Frage beantworten, warum es uns gibt. Wir sind einfach da. Voilà. Ist das nun sinnvoll, nützt das jemandem - wem?

Haben Sie deshalb Ihren Film mit einem so traurigen Bild der Ohnmacht enden lassen? Die ruinierte Frau sinkt in ihren Sessel, spreizt die Beine, und ihr Kopf fällt vornüber.

Der Mensch ist schwach. Er fällt. Auch Christus ist immer wieder unter dem Kreuz zusammengebrochen.

Und doch immer wieder aufgestanden und weitergegangen.

Ja, der Mensch muss immer wieder aufstehen - und sein Leben neu zusammensetzen. Das finde ich wirklich interessant. Doch um wieder aufstehen zu können, muss man das Böse gut kennen. Daher versuche ich es zu zeigen. Auch in meinem neuesten Film.

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