Manfred Kriener Wir retten die Welt: Schumis Kindergarten unterm Bagger
Hat RWE den Bogen überspannt? Sie haben im rheinischen Braunkohlerevier 40.000 Menschen vertrieben. Sie haben Kirchen abgerissen und Friedhöfe umgebettet. Sie verlegen sogar Autobahnen. Alles wird hingenommen wie der Schnupfen im Januar. Der Kirchenabriss in Immerath hat RWE zwar den Ruf eines „Kohle-Taliban“ (taz), eines „Bilderstürmers“ (FAZ), eines „islamistischen Barbaren“ (Zeit) eingebracht, wogegen die Pressestelle des Konzerns mit Einschüchterungsmails an die Chefredaktion vorgeht. Aber der fällige Sturm auf die RWE-Zentrale blieb aus. Je effizienter Millionen Solarzellen das gratis gesendete Sonnenlicht in Energie umwandeln, desto entschlossener scheint das Monstrum Braunkohle – kurz vor seinem Ende – die Kulturlandschaft zu verwüsten.
Das dürfte sich nun ändern. Denn jetzt rütteln sie am Allerheiligsten. RWE will die Kerpener Kartrennbahn von Michael und Ralf Schumacher zerbröseln. Dort, wo unsere Formel-1-Helden ihr Hand- und Fußwerk lernten, in Schumis Kindergarten, wird die „bergbauliche Flächeninanspruchnahme“ für die Braunkohle geltend gemacht. Die Weltmeisterschmiede soll verheizt, ein nationales Heiligtum geschleift werden. Den Herrgott haben sie bereits vertrieben und in die Betonkapelle des Reißbrettdorfs Neu-Immerath gesperrt. Jetzt auch den Formel-1-Gott? „Es ist eine Schande“, sagt Ralf Schumacher, „hier sterben Tradition und erfolgreiche Jugendförderung gleichzeitig.“
Damit legt sich RWE mit Auto-Motor-Sport, Bild, dem ADAC, GTI- und Porschefahrern, mit allen Schumi- und Vettel-Fanclubs an. Denen ist das formvollendete Tympanon über dem Portal der abgerissenen Immerather Basilika samt den Kirchenfenstern des Glasmalers Ernst Jansen-Winkeln piepegal. Aber das Ausbildungscamp von Vettel, Rosberg, Frentzen, Hülkenberg, Schumi I und Schumi II? Und keine Ausweichbahn. RWE zahlt lediglich eine Entschädigung. Dabei macht das Kartbahn-Gelände nur 0,25 Prozent des Tagebaus Hambach aus. Egal, sie muss weg wie alles andere.
Der Kartclub Kerpen hat seinen Mitgliedern die Nachricht vom Ende soeben übermittelt. „Der Braunkohle-Tagebau“, heißt es, habe eben „weiterhin eine hohe Bedeutung für die Stromversorgung.“ Den RWE-Unsinn nachzubeten, zeigt auch in der Stunde höchster Not eine seltsame Komplizenschaft zwischen Opfer und Täter, zwischen Rennfahrern und Braunkohleschürfern. Das eigene Hinscheiden als Tribut an „höhere Belange“. Oder steckt mehr dahinter? Vielleicht das Bewusstsein, dass Braunkohle und Benzin gleichermaßen vom Aussterben bedroht sind. Fossile Brüder out of time.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen