: Man hatte ihnen ein Fest der Freude versprochen
D. Holland-Moritz erinnert sich in „Lover’s Club“ an eine Jugend in Solingen
D. Holland-Moritz’ „Lover’s Club“ beginnt als pathetische Rückschau: „Ein Fest der Freude hatte man ihnen versprochen und in James Douglas Morrisons posthum veröffentlichtem Album ‚American Prayer‘ stehen immer noch all die verinnerlichten Sentenzen, die er später ‚in der vergilbten Textbeilage‘ unterstrichen hatte.“ Zum Beispiel: „We need great golden copulations.“
Zunächst wird unter der Überschrift „das 70er-Jahre-Local-Hero-Dokument“ eine Post-Hippie-, Post-68er-Jugend in Solingen mit Biertrinken, Haschrauchen, Rockmusik beschworen, eine Jugend auf der Suche nach dem erfüllten Jetzt, dem „Now“, das Jim Morrison in „When the musics over“ herausschrie. Während die anderen die Gegenwart an die Zukunft verraten, versuchen sich die local heroes in Moritz-Hollands autobiografischer Schrift mit Drogen, Musik, Sex und Büchern im Hier und Jetzt festzusetzen. Die Welt ist Schein, man will ins Sein, auch wenn es nicht damit getan sein mochte, „dass man einen Finger in irgendein Mädchen steckte, und schon stellte sich ein, dass man Teil ein und desselben Geschlechterkosmos war, sie ein knospender Auswuchs von ihm, durch den Schoß gedacht, er ihr Rhizom, wenn sie sich umeinander rankten“.
Kerouac, Ginsberg, Burroughs, die politisierten Hippies, Rolf Dieter Brinkmann oder die smarten Werke des dem Dadaismus nahe stehenden Walter Serner: Holland-Moritz beschreibt und beschwört das alles im lyrischen Postbeatnik-Ton – Nächte an Baggerseen, Trips, Sexgeschichten, härtere Drogen, erste Drogentote, Selbstmorde, magische Momente, Landkommunen. Eine Geschichte, die von da nach da führen könnte, gibt es eigentlich nicht, wie meist im echten Leben. Es geht eher um eine dissidentische Grundhaltung, um Funktionsverweigerung, Outsiderromantik, Rock-’n’-Roll-Authentizismus und die Coolness der späten 70er und 80er, um eine schöne „Ausgangshaltung, eine Nullregung, die es ermöglichen würde, über den Dingen zu stehen, ein Achselzucken, mit dem man Erwartungen herunterschrauben konnte“.
Szenen, die dies pflegten, sahen in anderen westdeutschen Klein- und Mittelstädten ähnlich aus, irgendwo im realistischen Underground, gleich weit entfernt von der Esoterik der Posthippies und dem Aktionismus der Linksradikalen. Man verweigerte sich den Forderungen der Gesellschaft ohne den Glauben daran, sie entscheidend verändern zu können. Man nahm Drogen ohne den Glauben an großartige Erleuchtungen, aber doch anders als Bier. Man hatte sich als Teenager letztlich für ein ästhetisches Lebensmodell entschieden. „Habt ihr auch in eurem Leben einige gute Szenen gehabt, genug, um einen Film daraus zu machen?“, fragt Jim Morrison auf dieser Liveplatte. Dass das alles Risiken barg, war klar. Nicht jeder konnte Künstler werden, viele gingen später unter.
Egal. Das Buch ist schön. Es beschreibt sehr genau eine dissidente Szene und ihre Entwicklung, eine Szene, die bislang nur selten beschrieben wurde. Irgendwie stört aber der allzu beschwörende, oft lyrische Ton. Das Pathos der dritten Person – wie bei Kafka, Trakl, Wildenhain – hat etwas Einengendes und unsouverän Nostalgisches.
Mit Pathos verdrängt man das, was man eigentlich immer wusste. Dass man eben nicht im erfüllten Augenblick war, sondern Muster nachlebte: Die emphatischen Bücher, die als Bibeln gelesen wurden, spielten anderswo in einer ganz anderen Zeit, ein Großteil der Musik, mit der man sich ins Hier und Jetzt hineinsteigern wollte, war von gestern, und die entscheidenden Schlachten waren Anfang der 70er längst schon geschlagen. Das ist tragisch: einerseits die richtige Zeit verpasst zu haben, in der man Teil einer tollen Bewegung hätte sein können, andererseits viel stärker ideologisch, lebenshaltungspropagandistisch von 68 beeinflusst zu sein als die großen Brüder, die dabei waren.
Moritz-Holland schreibt in einem beschwörenden Ton und reagiert damit auf den Verlust eines goldenen Zeitalters, dass es im individuellen Empfinden nie oder immer gab. Als Akt schreibt die Beschwörung der Unmittelbarkeit natürlich die Distanz fest, die ihrerseits zur Bewegung und Wiederholung führt, dem romantischen Unterwegssein, das nie wirklich an ein Ziel kommt. Oder wenn, dann mit dem Tod.
DETLEF KUHLBRODT
D. Holland-Moritz: „Eine Stimme aus dem Off“. Merve, Berlin 2002. 120 S., 10 €
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