■ Major gibt Geheimverhandlungen mit der IRA zu: Wer einmal lügt...
Die Tatsache, daß die britische Regierung seit Monaten in bezug auf ihre Kontakte mit der „Irisch-Republikanischen Armee“ (IRA) und deren politischen Flügel, Sinn Fein, gelogen hat, ist keine Überraschung. Schließlich zieht sich die britische Geheimdiplomatie und Doppelzüngigkeit wie ein roter Faden durch die Geschichte des nordirischen Konflikts und hat in der Vergangenheit sowohl bei dem katholisch- nationalistischen als auch bei dem protestantisch-unionistischen Bevölkerungsteil starkes Mißtrauen hervorgerufen. Selbst das Eingeständnis der Kontakte war am Samstag nur halbherzig: Die Behauptung, das Nordirland-Ministerium habe mit der IRA nicht verhandelt, sondern ihr lediglich Ratschläge erteilt, ist ausgesprochen lächerlich.
Tatsache ist, daß seit langem Verhandlungen stattgefunden haben, die vom britischen Premierminister John Major und seinem Nordirland-Minister Patrick Mayhew abgesegnet worden sind. Warum auch nicht? Wer die vielbeschworene historische Chance – und zahlreiche konziliante IRA-Erklärungen deuten darauf hin, daß sie offenbar besteht – ergreifen will, muß mit der IRA und den protestantischen paramilitärischen Organisationen reden. Indem die britische Regierung diese Gespräche jedoch leugnet, schürt sie das Mißtrauen der Unionisten.
Sie werden einen Ausverkauf ihrer Interessen wittern, wenn Major – wie aus anderen Geheimpapieren hervorgeht – auf der anglo-irischen Konferenz am Freitag das „Recht des irischen Volkes auf Selbstbestimmung“ anerkennen sollte, auch wenn der irische Premierminister Albert Reynolds im Gegenzug ein Referendum verspricht, wodurch der konstitutionelle Anspruch auf Nordirland aufgegeben werden soll. Die Unionisten haben bei Friedensverhandlungen am meisten zu verlieren, denn ein jeglicher Kompromiß führt zwangsläufig zur Beschneidung ihrer Machtposition und ihrer Privilegien. Deshalb werden sie versuchen, die Verhandlungen zu hintertreiben. Die Gelegenheit dazu wurde ihnen am Samstag durch das britische Eingeständnis der Kontakte mit der IRA auf dem Silbertablett präsentiert, weil die Beichte gleichzeitig neue Lügen enthielt.
Es ist fraglich, ob eine politische Lösung des Nordirland-Konflikts bei Major ganz oben auf der Tagesordnung steht oder ob ihn seine innenpolitische Schwäche – durch die er den Unionisten auf unabsehbare Zeit ausgeliefert ist – zu einem Drahtseilakt zwingt, bei der die nordirische Bevölkerung auf der Strecke bleibt. Die Halbwahrheiten vom Wochenende bestärken die Befürchtungen, daß es ihm wieder mal nur darum geht, die Schuld für das mögliche Scheitern der neuen Friedensinitiative von vornherein auf andere abzuwälzen. Ralf Sotscheck, Dublin
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