■ Madonnen-Beschlagnahmung in Italien: Die Gipsheilige weint Männerblut
Rom (taz) – Volksfeststimmung im Garten von Fabio Gregori in Civitavecchia bei Rom. Rund fünfhundert Schwerstgläubige aus allen Ecken Italiens und der übrigen Welt rutschen auf Knien und küssen in säkularer Verzückung den Boden ab, auf dem bis vergangene Woche noch die Madonna von Civitavecchia blutige Tränen heulte.
Unbeleckt von irgendwelchen Zweifeln harren die Hardcore- Katholiken auf die Rückerstattung der Statuette durch die Polizei. Diese hatten die 30 Zentimeter hohe Statue aus dem Garten der Gregoris wegen der unaufgeforderten Blutabsonderung konfisziert. Denn daß der liebe Gott vorzugsweise in Italien Madonnafiguren zum Stigmatisieren anregt, gehört zur italienisch-orthodoxen Variante der renommierten Großraumsekte wie die Liebe zu Onkel Pippistrello und dem Papst. Aber daß der HERR sich einer Gottesmutter-Massenanfertigung industrieller Produktion bedient, um seinen Schäfchen ein Zeichen zu geben, ist selbst für die frömmsten Carabinieri zu starker Tobak.
Unbeeindruckt von der heiligen Einfaltigkeit der Gläubigen, packten sie das Gipsding mit den blutverkrusteten Wangen und brachten es zur kriminaltechnischen Untersuchung. Die von Spaßverderbern und anderen Skeptikern gehegte Vermutungen, daß sich im Inneren der Statue ein Mechanismus befinde, der den (mit Antigerinnungsmitteln versetzten?) Lebenssaft rauspumpt, wurde durch Röntgenaufnahmen entkräftet. Die chemische Analyse der eingetrockneten Blutreste auf dem gipsernen Antlitz der kapriziösen Gottesmutter ergab, daß sie echt Blut sind und von einem Mann stammen.
Sensationell! Nach dem die Meldung am Mittwoch auf allen Fernsehsendern die Spätnachrichten anführte, geriet eine Nation aus dem inneren Gleichgewicht. Un Miracolo? Bischof Grillo ist zutiefst der Auffassung, daß die Wunderstatue geweint hat. Wie sonst soll das Blut auf die Wangen der Gebenedeiten gekommen sein.
Die Antwort lieferte die unchristliche Staatsanwaltschaft, indem sie Fabio Gregori am Montag wegen Betruges anklagte. Sie verdächtigt den Besitzer, das Wunder von Civitavecchia durch betrügerische Praktiken, wie zum Beispiel das Beträufeln der Statue mit Eigenblut herbeigeführt zu haben. Nun will man dem Verdächtigen Blut abzapfen und es mit den Spuren auf der Madonna vergleichen. Doch die Fanschar der Wunder- Madonna ist überzeugt davon, daß die Figur neben Männerblut weinen noch ganz andere Dinger drauf hat. So soll die Statue bereits ein elfjähriges, von der Geburt an gelähmtes Mädchen wieder zum Laufen gebracht haben. Grund genug für die rund zwanzigtausend Allesgläubigen den Palmsonntag zu einer Pilgerfahrt zum Sitz der Staatsanwaltschaft zu nutzen, um dort die Herausgabe der Gipsernen zu erzwingen.
Die Madonnenfigur in dem süditalienischen Dörfchen ist die nunmehr sechste Muttergottesstatue, die derzeit in Italien Blut absondert. Doch bei den anderen fünf, die sich zum Teil unter vatikanischer Beobachtung befinden, ist der heilige Augenausfluß in der Bevölkerung durchaus umstritten.
Dessen ungeachtet rechnet man an den Osterfeiertagen mit mehr als 50.000 PilgerInnen, die mit der felsenfesten Überzeugung nach Civitavecchia kommen, daß sich das Wunder spätestens am Karfreitag wiederholen wird. Wenn die Staatsanwaltschaft die Madonna nicht rechtzeitig zum 1995. Jahrestag der Kreuzigung Christi wieder rausrückt, haben die 20.000 christlichen Fundamentalisten Proteste und Randale angekündigt. Peter Lerch
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