: Machtwechsel in Tirana
ALBANIEN Hochrechnungen zufolge können die Linksparteien mit dem Sieg bei den Parlamentswahlen rechnen
VON ERICH RATHFELDER
ZAGREB taz | Die Koalition der Linksparteien hat die Parlamentswahl in Albanien gewonnen. Obwohl die offiziellen Ergebnisse erst am Dienstag bekannt gegeben werden, kann die oppositionelle Allianz für ein europäisches Albanien nach Hochrechnungen mit einer satten Mehrheit im Parlament rechnen. Der Führer der Sozialistischen Partei und langjährige Bürgermeister von Tirana, Edi Rama, reklamierte denn auch den Sieg bereits für sich.
Die als „konservativ“ bezeichnete und von der Demokratischen Partei angeführte „Allianz für Beschäftigung, Wohlfahrt und Integration“ des bisherigen Amtsträgers Sali Berisha verlor vor allem in der Hauptstadt Tirana und musste offenbar sogar in den nördlichen Landesteilen Verluste hinnehmen. Bisher war diese Region fest in der Hand Berishas. Der Süden dagegen wird traditionell von den Sozialisten dominiert.
Die Wahlen wurden von Unregelmäßigkeiten überschattet. Beide Lager haben nach Erkenntnissen der Friedrich-Ebert-Stiftung versucht, in großem Maßstab – vor allem in den ärmeren Stadtvierteln – Stimmen zu kaufen. Laut Berichten aus unterschiedlichen Quellen verlangten Mitarbeiter beider Blöcke, die Stimmzettel zu fotografieren und so den Nachweis zu erbringen, das Kreuzchen an der „richtigen“ Stelle gemacht zu haben.
Hinzu kommt, dass seitens der Regierungskoalition Ressourcen des Staates für den Wahlkampf genutzt wurden. Es geht für die Parteien und ihre Anhänger auch um viel – weniger um Ideologie als um Pfründen. Denn wer gewinnt, wird nicht nur viele politische Ämter, sondern auch Stellen in der Verwaltung und anderen Staatsorganen mit den eigenen Leuten besetzen. Für die Regierungsparteien ging es also darum, die bisherigen Vorteile zu erhalten oder zu erweitern, und für die Opposition, den Staatsapparat zu okkupieren. Da zudem die Wahlkommission von der Regierung dominiert ist, wiegt ein Sieg der Opposition, sollte er bestätigt werden, umso schwerer.
Mit welch harten Bandagen im Wahlkampf gekämpft wurde, zeigt sich in der Stadt Lac im Norden. Hier wurde ein sozialistischer Parteianhänger erschossen. Aber die Opposition war ebenfalls nicht zimperlich, auch Regierungskandidaten wurden verletzt. In der südalbanischen Hafenstadt Vlora zerstörte eine Explosion das Auto des örtlichen sozialistischen Parteisekretärs. „Bewaffnete Kriminelle und Banditen“ bedrohten im Auftrag der Regierung die Wähler vor einigen Wahllokalen im Norden, behaupteten führende Sozialisten. Aus zahlreichen Landesteilen wurde von Schlägereien berichtet. Wahlbeobachter sprachen von Wählern, die ohne Ausweis abstimmten, einzelne Wähler gaben die Stimmen der Großfamilie gemeinsam ab.
Die Frage ist, ob das Berisha-Lager den Sieg Ramas anerkennt. Seit den ersten demokratischen Wahlen 1992 kam es mehrfach zu zum Teil bewaffneten Demonstrationen des unterlegenen Lagers, wobei es Tote und viele Verletzte gab.
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