MURAKAMI IN KREUZBERG : Künstler, Jogger etc.
In der Dieffenbachstraße hat ein Möbeldesignladen aufgemacht, und schräg gegenüber, wo früher Edeka drin war und später ein Weinladen, den die rotnasigen Betreiber ganz allein ausgetrunken haben, wird schon seit geraumer Zeit renoviert. Auf einem dezenten Schild steht „Hidari Zingaro Berlin“. Sagt mir natürlich nichts, aber ein Kunstkurator weiß sofort Bescheid. „Murakami“, flüstert er schwer beeindruckt. Sagt mir auch nichts. Er erklärt mir: „Das ist eine japanische Gelddruckmaschine.“ Wenn der sich hier mal nicht verirrt hat, denke ich.
Aber die Gentrifizierung macht nicht nur in Video, sie joggt auch, und zwar in Form junger Frauen mit Speck und ohne und in Form von Müntefering. Sein Heroismus rührt mich, und ich sehe ihm bewundernd hinterher, wie er sich früh am Morgen schleichend über das Pflaster quält. Ein weiteres Mosaiksteinchen im Gentrifizierungstableau heißt Cem Özdemir, der schleicht nicht übers Pflaster, sondern über den Spielplatzsand. Dort telefoniert er mit vorgehaltener Hand, was sehr verschwörerisch aussieht, und wer weiß, vielleicht zettelt er ja gerade eine Intrige an, wahrscheinlich erkundigt er sich aber nur nach dem Stand seiner Freiflugkilometer. Wenn er sein Handy nicht ans Ohr hält, dann sieht er es verliebt an. Manche Leute suchen sich merkwürdige Orte aus, um in Ruhe zu telefonieren.
Ich gehe nach Hause und gucke aus dem Fenster. Auf dem Gehweg hat sich eine Gruppe von sechs Elfjährigen zusammengerottet. Einer hält eine Zigarette in der hohlen Hand, zieht verstohlen daran und gibt sie dann weiter. Der Nächste macht es genauso. Dabei kichern sie, knuffen die anderen und gucken sich verschwörerisch um. Als sie merken, dass sie beobachtet werden, streckt mir einer den Mittelfinger entgegen. Dann ziehen sie weiter. Von denen wird sich keiner einen Murakami angucken.
KLAUS BITTERMANN