MORGENS VOR KARSTADT : Für die Pirsch
Samstag, es ist 10 vor 10. Ich warte mit der Tochter vor den Toren des noch geschlossenen Karstadt am Hermannplatz. Der zu Hause gebliebene Sohn braucht dringend eine Regenjacke für die anstehende Kindergartenfahrt ins Brandenburgische. Wir sind nicht allein vor der Tür. Eine türkische Frau mit vier Kindern, die immer wieder „tamam“, einverstanden, zu ihrem kleinsten, an der noch leeren Einkaufstasche zuppelnden Jungen sagt. Ein schmaler, geduckter Mann, dessen Gesicht wie eine Implosion aussieht. Ein paar, die nicht auffallen. Und damit es spannend bleibt, kommt noch eine Psychose hinzu, die wild gestikulierend mit flatternden Armen um mich herumhampelt.
Währenddessen hat sich die Tochter einem Hund genähert, der links am Tor neben seiner Eigentümerin auf dem Boden liegt und alle fünf Sekunden die Augen öffnet. Die Tochter ist entzückt. Papa, Hund aufdewacht! Papa, Hund schlaft, Hund mude! Papa, Hund aufdewacht! Als meine Aufmerksamkeit zu bröckeln beginnt – die Psychose macht immer weiter –, variiert die Tochter und wird lauter PAPA, GUCK, HUND AUFDEWACHT, GUCK. Endlich öffnet sich wie von Götterhand das Tor. In dem Gedränge fällt meine Tasche herunter, der Inhalt verteilt sich auf dem Boden. Während ich alles wieder zusammensammle, betrachtet die Tochter interessiert den an Drehsäulen ausgestellten Schmuck.
Zu Hause sagt der Sohn: Mann, Papa, ich wollte eine rote! Du weißt gar nicht, sage ich leicht entnervt, was ich alles durchgemacht habe, um an eine Regenjacke zu gelangen. Eine durchaus pädagogisch wertvolle Ansprache. Ich besinne mich und sage: Ja, sie ist hellblau und nicht rot, es gab keine rote. Aber solltet ihr auf eurer Fahrt auf Pirsch gehen, ist das eine bessere Tarnung als rot. Oder hast du schon mal einen Jäger in einer roten Regenjacke gesehen? Das versteht der Sohn sofort. BJÖRN KUHLIGK