MORD AN VAN GOGH DROHT DIE NIEDERLANDE WEITER ZU RADIKALISIEREN : Muslime zum zentralen Problem stilisiert
Die Niederlande werden für lange Zeit nicht mehr das gleiche Land sein. Gestern wurde der Filmemacher Theo van Gogh auf offener Straße in Amsterdam erschossen. Wahrscheinlich war es ein politischer Mord – es wäre erst der dritte in der Geschichte der Niederlande. 1584 wurde der Staatsgründer Willem van Oranje in Delft getötet, im Mai 2002 der Rechtspopulist Pim Fortuyn von einem radikalen Tierschützer umgebracht. Und nun also Theo van Gogh, der Fortuyn inhaltlich nahe stand und gerade einen Film über ihn abgedreht hatte.
Schon der Mord an Fortuyn hat das Land geschockt und verändert. Die öffentliche Diskussion radikalisierte sich; durch die Gewalttat erlangte der Rechtspopulist posthum eine Art Unantastbarkeit. Auch wer seine Thesen nicht unbedingt teilte, fand doch, dass er wesentliche Fragen aufgeworfen habe. Sie alle hatten nur ein Objekt: den Einwanderer, genauer den muslimischen Einwanderer.
Fast drei Jahre lang wird nun schon leidenschaftlich über die Integrationspolitik in den Niederlanden debattiert – und an diesem Dauerdiskurs erstaunt vor allem die aufgeregte Ausschließlichkeit. Viele europäische Gesellschaften sind geneigt, ihre Zuwanderer als ein Problem zu betrachten. In den Niederlanden hingegen gelten sie inzwischen als das Problem schlechthin.
Diese Sicht hat der Regisseur Theo van Gogh nur zu gern bedient, so auch mit dem Film „Submission“, der kürzlich in den Niederlanden für Aufregung sorgte. Wie der Titel sagt, ging es um Unterdrückung – im Islam. Man sah eine Zwangsheirat und die Vergewaltigung durch Verwandte. Drehbuchautorin war Ayaan Hirsi Ali. Die Somalierin sitzt im niederländischen Parlament, hat sich vom Islam losgesagt, nennt Mohammed „pervers“ und dient gern als Kronzeugin, wenn der Islam als Religion des Terrors und der Knechtschaft dargestellt werden soll. Dass der Islam überwiegend friedlich ist, kommt bei ihr nicht vor.
„Hoffentlich war es kein Ausländer“, sorgten sich gestern viele in den Niederlanden, als der Täter noch nicht feststand. Aber schon diese Hoffnung zeigt, wie groß die Gefahr ist, dass sich das Land nach diesem dritten politischen Mord abermals radikalisiert. ULRIKE HERRMANN