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Archiv-Artikel

MIT WIRE IM POSTBAHNHOF Grüne Gitarren

Brillen und graues Haar an ernsten Männergesichtern

Auf dem Weg zu Wire, einer der kompromisslosesten und erstaunlichsten Postpunkbands, die Thatchers England je generierte, sitzen zwei schnuckelige Twenmädchen im Bus und gackern über ihren Smartphones, wie Twens das eben so machen, wenn noch nichts Dunkles den Horizont zu trüben scheint: Was hat er gesagt? Hat er das wirklich gesagt? Voll der Idiot! Zwinker-Emoticon! Kicherkicherkicher!

Sie steigen fröhlich am Ostbahnhof aus und finden den Weg zum Postbahnhof, um dort erstens das Durchschnittsalter des Wire-Publikums massiv zu senken und zweitens den Genderaspekt zu beeinflussen.

Denn man kommt bei einem solchen Konzert nicht umhin, beides wahrzunehmen: Auf der Bühne wird stolz Glatze über 60-jährigen Männergesichtern getragen, Colin Newman singt und schreit zudem die schlauen Texte durch seine Professoren-Lesebrille vom iPad-am-Ständer, während er sich modebewusst abwechselnd drei unterschiedliche, aber immer grüne Gitarren an grünen Gurten vor den Körper schnallt. Nur der neue und blutjunge Sologitarrist Matthew Simms lässt wie zum Hohn die auf Glanz gewaschene Matte im Takt seiner Distortion-Soli fliegen. Und vor der Bühne schimmern wie ein Spiegelbild ebenfalls Brillen und graues Haar an ernsten Männergesichtern, sodass einem ganz warm ums Herz wird: Der einzige Grund, warum man keine bunten Stöpsel in den Publikumsohren entdeckt, mag der sein, dass hier eben niemand mehr gut genug hört, um sich durch den unglaublich frequenz- und dezibelsatten Sound im Postbahnhof gestört zu fühlen, aber what the fuck! Sind sie zu laut, bist du zu schwach (beziehungsweise: sind sie zu leise, bist du zu alt).

Die beiden Wire-Nachwuchs-Twens schäkern derweil trotz Krach unbeeindruckt mit der jungen Tresenkraft. Garantiert auf einer Frequenz, die wir Alten gar nicht mehr hören. JENNI ZYLKA