MIT DEN ALTEN HERREN AUS DEM OSTEN IN LANKWITZ : Klassenkampf beim Tennis
ANDREAS HARTMANN
In dieser Kolumne schreibt normalerweise jemand darüber, wie er sein letztes Wochenende verbracht hat. Im besten Fall geht es dann um ganz viel Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll. Meist aber eher darum, dass es von alldem mal wieder viel zu wenig gab.
Heute soll es jedoch einmal um eine selbst gewählte Form der wochenendlichen Freizeitgestaltung gehen, die das komplette Gegenteil von Ausgeh-Glamour ist. Trotzdem lässt sich eigentlich kaum etwas Abgefahreneres vorstellen, als sprichwörtlich den ganzen Sonntag ein Mannschaftsspiel in der Sportart Tennis zu betreiben. Der Samstag ist dabei meist auch schon gelaufen, weil man irre früh ins Bett muss, um am nächsten Tag ein wenig Leistung bringen zu können.
Sechs Hobbyspieler begeben sich bei diesem eigentümlichen Sporthappening an einen Ort irgendwo in Berlin, an den man sich freiwillig nie begeben würde. Dort treffen sie auf sechs weitere Hobbyspieler, mit denen man freiwillig nie etwas zu tun haben würde. Dann spielen sie Einzel und Doppel gegeneinander und finden das alles wahnsinnig aufregend und wichtig, obwohl alle wissen, dass es das in Wirklichkeit nicht ist.
Man trifft sich dafür sonntags zu einer absurd frühen Zeit, spielt selbst mittelprächtiges Tennis und schaut stundenlang auch noch selbigem zu. Da wird geschrien, geflucht und sich gegenseitig bei selbstverantworteten Schiedsrichterentscheidungen beschissen. Da wird der Schläger geworfen oder sogar in Pete-Townshend-Manier zertrümmert. Zwischendurch ruft die Freundin an und fragt, wo man denn schon wieder so lange bleibe. Erst abends kommt man wieder nach Hause, hat vielleicht sogar verloren, wurde gedemütigt, hat den ganzen Tag verplempert. Trotzdem ist es gut, dass es nächsten Sonntag schon wieder weitergeht.
Normalerweise landet unser Team vom TC Friedrichshain, ein Altherrenteam, das netterweise offiziell als Ü-30-Mannschaft firmiert, immer bei einem ähnlichen Verein wie unserem, also einem anderen Post-DDR-Verein. Das bedeutet, es gibt ein paar Plätze, eine Baracke, die sich Clubhaus nennt, einen Platzwart mit Alkoholproblem, und nach den Spielen serviert jemand Gegrilltes, das nicht richtig durch ist, sowie Kartoffelsalat von Aldi.
Dieses Wochenende aber waren wir bei einem Westverein, beim TC Lankwitz. Der Besuch dort brachte die Erkenntnis mit sich, dass sich eine Einteilung in Ost- und Westberlin, die man an vielen Stellen in dieser Stadt gar nicht mehr so leicht vornehmen kann, nirgendwo so gut tradiert hat wie im Tennis.
In der DDR galt Tennis als dekadenter Westbonzensport. Die Tennisvereine waren kleine Arbeiterklubs, und dementsprechend wenig Tennisklischee-elitär sieht es heute immer noch in den Tennisvereinen im Osten Berlins aus. Im Westen dagegen werden die traurigen Überreste des Tennisbooms aus der Becker-Graf-Ära kultiviert. Man spielt teilweise noch in Weiß wie bei Blau-Weiß und leistet sich eine Edelgastronomie wie der Klub in Grunewald.
Ein bisschen war es also wie Klassenkampf, als wir beim TC Lankwitz auftauchten. Es gab dort ein riesiges Klubhaus mit eigenem Italiener. In den Toiletten ging das Licht automatisch an und aus. Und es fand sich sogar ein Centercourt mit einer Art Tribüne. Es wirkte alles so künstlich und unecht und stimmte einen melancholisch, weil die Bänke auf dem Centercourt auch schon ein wenig morsch waren.
Wir waren alle froh, als wir wieder zurück in der Tenniswelt Ostberlins waren. Natürlich auch, weil wir gewonnen hatten.