MIT DEM NIEDERGANG DER NEW ECONOMY VERSCHWINDEN IHRE BEGRIFFE : „Ich-AG“ ohne Kaufempfehlung
Öffentlichkeit ist immer auch eine Geschichte der Begriffe, also der Suggestionen. Die Geschichte des Wortes „Ich-AG“ zum Beispiel. Der Begriff wurde gestern von einer Jury zum „Unwort des Jahres“ gekürt. Vor zwei Jahren hingegen geisterte das Wort durch alle Feuilletons, es galt als Kurzbeschreibung eines neuen, durch und durch ökonomisierten Individuums. Doch man ist dieser Suggestion überdrüssig geworden. Sie transportiert heute nichts mehr, kein Gefühl, keine Hoffnung.
Im Jahr 2000 startete das Wort die Reise durch die Medien, ausgehend von einer Hamburger Marketingagentur. Die „Ich-AG“ verband Individualismus mit börsennotiertem Unternehmertum und synthetisierte damit Hoffnungen der aufstrebenden Neuen Ökonomie. In der absurden Wortverbindung erklang außerdem noch die für die Neue Ökonomie so typische Ironie. Spielend wurde der Begriff in vielen Milieus heimisch. Die Warnung des Bundespräsidenten, die „Ich-AG“ definiere die Menschen nur durch die Ökonomie, beförderte nur die Popularität des Begriffs. Die Politik ist in ihren Suggestionen immer etwas der Werbung hinterher und entdeckte den Begriff daher erst im vergangenen Jahr für ihr „Hartz-Konzept“, nachdem sich die Hoffnungen der Neuen Ökonomie längst zerschlagen hatten. Im Hartz-Konzept werden subventionierte Kleinstunternehmen, von Arbeitslosen gegründet, zu „Ich-AGs“ verklärt.
Die Sprachjury bemängelte jetzt, damit würden „menschliche Schicksale“ auf „sprachliches Börsenniveau“ heruntergestuft. Es geht also doch um Schicksale und weniger um die angebliche Gestaltungsmacht des Individuums. Vielleicht ist das sogar ein Trend, eine neue Suggestion.
Was Ich-Stärke betrifft, können sich die Bundesbürger ihre Suggestionen ohnehin selbst basteln: In einer Allensbach-Umfrage erklärten 28 Prozent der West-Bundesbürger, sich für eine „starke“ oder gar „sehr starke Persönlichkeit“ zu halten. Der Anteil hat in den vergangenen siebzehn Jahren um 5 Prozentpunkte zugenommen. Weniger als die Hälfte der Befragten hielten sich für eine „mäßige“ oder „schwache“ Persönlichkeit. Ganz unabhängig von Wirtschaftsdaten und Arbeitslosenzahlen. Das lässt doch hoffen. BARBARA DRIBBUSCH