MIT DEKO-POLITIK WEICHT DIE SPD-LINKE DER NEUEN VERTEILUNGSFRAGE AUS : Tief rein in die Mittelschicht
Immer dann, wenn Politiker schlichte Etiketten herauskramen, ist zu vermuten, dass die Dinge in Wirklichkeit besonders kompliziert liegen. Das trifft auch auf den Streit zwischen der SPD-Linken und Bundeskanzler Schröder zu. Daran lässt sich ablesen, wie sehr sich die Gerechtigkeitsfragen verändert haben. Und wie sehr sich nicht nur der Kanzler, sondern auch die Linke scheut, die dazugehörigen Verteilungsprobleme anzusprechen.
Unbestritten ist, dass es in einem System der kollektiven Sicherung ein Problem gibt, wenn die Zahl der Leistungsempfänger steigt, bedingt durch Arbeitslosigkeit oder Alterung, und die Zahl der Beitragseinzahler sinkt. Das bedeutet, dass jeder Einzahler immer stärker belastet werden müsste. Diese Entwicklung schafft neue Verteilungsfragen sowohl im Sozial- als auch im Steuersystem. Die Linke antwortet auf diese Verteilungsfragen aber mit Lösungsangeboten, die auf ein Gesellschaftsmodell verweisen, das es so nicht mehr gibt.
Ein Beispiel dafür ist der linke SPD-Abgeordnete Ottmar Schreiner. Er redet von einer stärkeren Beteiligung „großer Einkommen“ an der Finanzierung staatlicher Aufgaben, etwa über eine höhere Vermögen- und Erbschaftsteuer, wobei aber, betont Schreiner, „Omas Häuschen“ geschont werden soll. Die Wahrheit jedoch ist: Soll durch eine höhere Belastung von Vermögen und Erbschaften wirklich Geld in die öffentlichen Kassen kommen, müssten auch die Erbschaften und Vermögen der bevölkerungsstarken Mittelschicht herangezogen werden.
Es gibt keine Umverteilung „von oben nach unten“, bei der nicht die Mittelschicht-Milieus belastet werden müssten. Die Oberschicht in Deutschland ist klein, darunter liegt das Patchwork der Mittelschicht, und dann erst kommt die materielle Unterschicht, vornehmlich in Immigranten-Milieus und in Ostregionen beheimatet.
Verteilungsfragen sind immer heikel. Auch in den Details. Manche Abgeordneten wollen beispielsweise das verlängerte Arbeitslosengeld für Ältere beibehalten, genau dieses Arbeitslosengeld aber dient häufig dazu, Facharbeiter auf Kosten des Arbeitsamtes in den vorgezogenen Ruhestand zu schicken. Viele Linke wollen auch ein höheres Arbeitslosengeld II als der Kanzler, doch damit würden joblose, aber erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger künftig besser gestellt als kranke Sozialhilfeempfänger. Man kann mit gutem Grund gegen die Kürzungen sein – aber Sozialpolitiker müssen immer auch die Folgen benennen. Alles andere ist Dekorationspolitik. Und die sollte die Linke nicht nötig haben. BARBARA DRIBBUSCH