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Archiv-Artikel

MIGRATION UND HYMNE Unsere Citoyens

VON JAN FEDDERSEN

Frankreich gegen Nigeria, kurz vor 18 Uhr in Brasilien, vorigen Montag. Das ZDF überträgt, Wolf-Dieter Poschmann wird kommentieren. Wie immer nehmen die Kameras die Teams während der Hymne sachte auf; als der schöne Karim Benzema ins Bild kommt, erwähnt Poschmann, dass der Franzose nicht mitsingt, aber: Man müsse das verstehen, seiner Großeltern wegen. Es könnten auch die Eltern gewesen sein, die Poschmann erwähnt haben wollte – aber er erklärt diese besondere Bewandtnis nicht. Wir sehen nur: Benzema, ein Franzose, schweigt zur „Marseillaise“.

Nun, man muss nicht naiv tun: Wer WM guckt, weiß erstens: Französische Männer kommen oft aus Einwandererfamilien, und zweitens: Viele sind fußballerisch so exzellent, dass die algerische Nationalmannschaft als B-Variante der französischen gelten kann. Benzema, der so schmeichlerisch, sanft, ja, unsalafistisch spielende Mann, hat in Interviews darauf hingewiesen, dass er Franzose sei, aber aus der „Marseillaise“ nicht den republikanischen Impuls heraushört, sondern das, was im Namen der Hymne mit seinen Vorfahren in Algerien angerichtet wurde. Wenn gesungen wird: „Zu den Waffen, Bürger! Formt eure Schlachtreihen, marschieren wir, marschieren wir! Bis unreines Blut unserer Äcker Furchen tränkt“, hört er die französischen Kolonisatoren in Algerien.

Aber ist es nicht irreal, in einer französischen Auswahl so zu tun, als gehörte man noch immer zur algerischen? Ja ist das nicht selbstausgrenzend? Zweitens jedoch, was den deutschen Diskurs und Poschmann anbetrifft: Der singt nicht mit, weil er eigentlich kein Franzose ist. So kommt unter der Hand und trotzdem deutlich eine Ethnisierung zum Vorschein: Einer wie Benzema ist am Ende nur eine Art Söldner, der nicht zum republikanischen Gemeinwesen zu zählen ist, weil er weiterhin, nun ja, einer von den Schwarzfüßen südlich des Mittelmeers ist.

In Deutschland schweigt man mittlerweile auch dazu, dass Özil und Khedira „Einigkeit und Recht und Freiheit“ nicht mitsingen. Aber weshalb wünscht man nicht, dass Spieler mit Migrationshintergrund die Hymne ihres Landes intonieren? In der Bagatellisierung des Nichtmitsingens, wie Poschmann es bei Karim Benzema tat, liegt ein gedanklich völkisches Moment: Özil und Khedira sind ja gar keine echten Deutschen und dürfen deshalb lippenstumm bleiben.

Man mag anmerken: Nationalhymnen sind doch von gestern, fabulieren von Nationalistischem, müssen dringend abgelehnt werden. In einer idealen Welt: gewiss. In der wirklichen Welt sind diese Hinweise jedoch antipolitische, ja, romantisierende Nörgeleien. Wer möchte, dass die real verfasste Bundesrepublik Deutschland als Land der Einwanderer anerkannt und wertgeschätzt wird, sollte auch wollen, dass Spieler, die Einwandererkinder sind, nicht ethnisiert und kulturalisiert werden.