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Archiv-Artikel

MERKEL BEKRÄFTIGT EINSATZ FÜR EIN „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ Kompromissformel ohne Konsequenz

Formelkompromisse bei Vereinbarungen sind bequem, oft sogar nützlich. Von den Beteiligten wird auf Zeit gespielt. So verhält es sich auch mit dem Begriff „sichtbares Zeichen“, von dem im CDU/SPD-Koalitionspapier die Rede ist. Es soll an das Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebenen vor und nach 1945 erinnern und in Berlin seinen Standort haben. Nur was genau soll das „sichtbare Zeichen“ sein? Wir betreten vermintes Gelände.

Montagabend, auf einer Gedenkveranstaltung ihrer Partei zu den Vertreibungen, hat sich Angela Merkel an einer Präzisierung versucht. „Sichtbares Zeichen“ solle ein künftiges „Zentrum gegen Vertreibungen“ sein – also ein Projekt, das sich auf Erika Steinbachs Vertriebenenprojekt gleichen Namens stützt. Damit nahm die Kanzlerin wieder die Pro-Steinbach-Position ein, die sie schon als Oppositionsführerin vertreten hatte. Um aber die SPD für diesen Vorschlag zu erwärmen, solle das Zentrum in Verbindung mit dem „europäischen Netzwerk“ zu Flucht und Vertreibung aufgebaut werden: Dieses Netzwerk war ein Kind der Präsidenten Rau und Kwaśniewski – ein sozialdemokratisch inspiriertes Gegenprojekt zu Steinbachs Zentrum. Das Netzwerk existiert bislang nur auf dem Papier.

Merkel ließ in ihrer Gedenkrede eine dritte Lösungsvariante außer Acht, nämlich die Ausstellung des Bonner „Hauses der Geschichte“ zu „Flucht, Vertreibung, Integration“. Diese allseits gerühmte Ausstellung legt ihr Schwergewicht auf die geglückte Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in die junge Bundesrepublik. Sie könnte, erweitert und ergänzt, zum Kern einer Dauerausstellung und damit zum „sichtbaren Zeichen“ werden und sich in den Gesamtkomplex der deutschen Geschichte einfügen. Damit wäre einem zentralen Argument gegen Vertreibungsausstellungen jeder Art – die historische Entkontextualisierung – der Boden entzogen. Sollte Erika Steinbach dann dennoch weiter ihr Zentrumsprojekt verfolgen, so wäre dies die Privatsache der Vertriebenen

Da diese Lösung aber nicht angestrebt wird, das „Netzwerk“ eine Totgeburt ist und Steinbach/Merkels Lösungsweg nicht konsensfähig, wird staatlicherseits überhaupt nichts passieren. Vielleicht im Augenblick die beste Lösung. Christian Semler