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Archiv-Artikel

MENSCHENRECHTE SIND DEM KREML KEINEN BEOBACHTER MEHR WERT Russische Normalitäten

Man kann Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu seiner erfolgreichen Politik nur beglückwünschen: Offensichtlich hat sich die Situation in Tschetschenien inzwischen so weit stabilisiert und normalisiert, dass der Kreml für die Kaukasusrepublik keinen Menschenrechtsbeauftragten mehr braucht. Darum schafft er den Posten jetzt ab.

Dieser Schritt war nur eine Frage der Zeit und folgt der Logik Putins. Sein erklärtes Ziel war es von Beginn seiner Präsidentschaft an, das Thema Menschenrechte in Tschetschenien von der Tagesordnung abzusetzen. Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurden hinauskomplimentiert, Besuche von Experten des Europarates strikten Begrenzungen unterworfen. Russische Medien berichten ohnehin kaum noch aus der Region, da Journalisten nach Tschetschenien auf legalem Wege gar nicht mehr gelassen werden.

Putins Rechnung wäre fast aufgegangen, gäbe es nicht noch eine Hand voll standhafter Kritiker aus Russland und Tschetschenien, die mit ihren Informationen die offizielle Kreml-Propaganda konterkarieren. Sie zeichnen alles andere als ein positives Bild von der Realität: Fast täglich verschwinden tschetschenische Zivilisten, oft werden sie später ermordet aufgefunden. Erst vor wenigen Tagen bezahlte wieder ein Menschenrechtler sein Engagement in der Region mit dem Leben.

Doch das braucht Wladimir Putin nicht zu stören, denn Tschetschenien ist kein Thema mehr. Weder im Westen, der zu den als Antiterrorkampf bemäntelten Grausamkeiten schweigt, noch in der russischen Gesellschaft. Auftritte wie der der liberalen Präsidentschaftskandidatin Irina Chakamada, die Putin jüngst wegen des Geiseldramas im Moskauer Musical-Theater im Dezember 2002 Jahr scharf kritisierte, sind eher die – lästige – Ausnahme. Doch Chakamada hat sowieso keine Chance, der strahlende Sieger der Wahlen im März wird Putin heißen und die vermeintlichen Erfolge in Tschetschenien werden wohl eher das Ihre dazu beitragen. Für russische Verhältnisse ist das inzwischen ganz normal. BARBARA OERTEL