MÄNNER MIT FLASCHEN IM PLASTIKQUADRAT : Fußball, Bier und Soccer
MARTIN KRAUSS
Der Treffpunkt, den unser amerikanischer Freund genannt hat, heißt „Beer Garden“. Das hat uns überrascht. Wo in Harrison, New Jersey, soll es denn etwas geben, das man sich wie einen Biergarten vorstellen kann: Büsche, Bänke, Bäume und natürlich Bier?
Das wäre ja öffentlicher Alkoholkonsum, und in den USA ist so etwas not really erlaubt. Doch vor der Red Bull Arena in Harrison, wo die, man ahnt es: New York Red Bulls ihre Spiele in der Major League Soccer austragen, finden wir tatsächlich ein Schild mit dem Aufdruck „Beer Garden“. Und hundert Meter links dieses Schildes ein merkwürdig mit einem Zaun abgesperrtes Terrain. Keine Stühle, wenig Stehtische, viel Budweiser-Werbung und am Eingang ein Polizist und ein Ordner, die sich gemeinsam die Ausweise zeigen lassen: Nur wer über 21 Jahre alt ist, kommt rein. Das mutet merkwürdig an, schaut man sich die Szenerie von einer fünf Meter entfernt stehenden Parkbank an: Überwiegend Männer, mit bunten Trikots und Schals ausgestattet, Budweiser-, Busch-, Beck’s und andere Bierflaschen in der Hand haltend, stehen dicht gedrängt im Plastikquadrat.
Dass es in Harrison, New Jersey, vor dem Stadion einen Biergarten gibt, stellt eine größere Annäherung an Europa dar als der Umstand, dass bei den Red Bulls Thierry Henry aufläuft, immerhin achtmal englischer und französischer Fußballer des Jahres.
Fußball und Bier. Dass das miteinander zu tun hat, weiß in Europa jeder, und doch haben bemerkenswert wenige Autoren darüber geschrieben. George Best, Stan Libuda, Paul Gascoigne und Branko Zebec fallen einem ein, das schöne Phänomen der Thekenmannschaften, die Bayern-Weißbierdusche nach dem Gewinn einer ihrer überflüssigen Meisterschaften, der DSF-Doppelpass mit seinem Experten Udo Lattek, und dann gibt es noch Heinz Rudolf Kunzes lyrisches Hauptwerk: „Noch zwei Bier, sagte der Libero / Ich fing schon an, doppelt zu sehn“. (Zugegeben, Kunze habe ich gegoogelt, auf den wäre ich von allein nicht gekommen.)
Nichts gegen saufende Frauen, aber der Zusammenhang von Fußball und Bier ist vor allem der von Alkohol und Männlichkeitskonstruktion. „Wer im Bier-, Nikotin- und Schweißnebel der Vereinsheime am Glas nichts kann“, so schrieb das Fachblatt 11 Freunde einmal, der bliebe „auf ewig ein Knabe“. Die höchste Zahl an Bierwerbespots findet sich im deutschen Fernsehen während der Samstags-„Sportschau“ und in der Pause der Champions-League-Spiele. Der soziale Zwang, gefälligst mitzusaufen, ist bei Fans und bei Spielern gleichermaßen enorm hoch. Auch wenn es keine Studie dazu gibt: Es sollte nicht wundern, wenn der deutsche Männerfußball prozentual mehr Säufer aufzubieten hat als die deutsche Bundeswehr. Und dass einer wie Schalke-Trainer Felix Magath lieber Tee als Bier trinkt, macht ihn bei echten Experten verdächtiger als all seine Medizinballübungen zusammen.
Während Athleten anderer Sportarten eher mit Obstsäften oder isotonischen Getränken in Verbindung gebracht werden (und für deren Hersteller als glaubwürdige Werbeträger auftreten), muss beim Fußball immer das Bier her.
Prompt sind wir wieder in Amerika. Hier heißt der Fußball nicht nur anders, er ist auch eine kulturell und sozial komplett andere Veranstaltung. Männlichkeitsrituale sind vielleicht beim Base- und Football zu besichtigen, nicht aber beim Soccer. Es sind vor allem Familien und befreundete Familien und deren Nachbarn, die die Red Bull Arena in Harrison bevölkern. Nur in einem kleinen Fanblock hinter einem Tor werden Fahnen geschwenkt und fußballtypische Betrachtungen über die sexuelle Orientierung des gegnerischen Torhüters angestellt. Hierhin gehen die Familien nicht. „Wegen der Kinder“, wie unser amerikanischer Freund sagt. Dabei ist dieser kleine Fanblock, kulturell betrachtet, die Enklave der europäischen Arbeiterklasse in New Jersey. Wer sich hier hinstellt, um sich ein Fußballspiel anzuschauen, zahlt auch die neun Dollar für ein Bier. Das ist der Preis in der Arena, aber: Es ist erlaubt.