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Archiv-Artikel

MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER 17er Flansch mit rechtsdrehender Nuss

Achtung, eine Durchsage: Der kleine Martin wartet in der Trefferia im Erdgeschoss auf seinen Freund

Es passiert in unregelmäßigen Abständen, mehrmals im Jahr, ein bizarres Samstags-Ritual: „Du, können wir heute mal in den Baumarkt fahren?“ Es ist grauenhaft und doch vertraut zugleich, es sind immer verschiedene Autos, weil sie immer von Freunden geliehen sind, und gleich bleibt, dass mein Freund zwar Häuser bauen kann, aber keinen Führerschein hat – bei mir ist es umgekehrt.

Die Rolle des Autos übernahm dieses mal der Fiat Cinquecento einer lieben Kollegin mit umklappbarer Rückbank, der Baumarkt hieß Globus und befand sich im brandenburgischen Oranienburg bei Berlin. Verloren auf der grünen Wiese, zwischen Bundes-, Schnell- und Umgehungsstraßen, hochsubventionierte High-Tech-Ossi-Infrastruktur. Oranienburg, ein Ort, der schon zu „DDR-Zeiten“ und erst recht davor ein seltsames Odium versprühte, doch im Baumarkt spielt das alles keine Rolle, denn hier gibt es die Einzelteile zu kaufen, mit deren Hilfe der bundesdeutsche Bürger seine Träume zusammensetzt, ganz egal wo sein Eigenheim nun steht. Edelstahl-Armaturen, Turbo-Silikon-Masse für fugenfreie Kachelwände, Badewannen mit Whirlpool-Einsatz für einen Abend voll luxuriöser Entspannung nach getaner Arbeit – oder doch lieber den 5.000-Liter-Jacuzzi aus Amiland für den Gartenbetrieb? Der Baumarkt ist eine Männerwelt, Frauen gibt es nur hinter der Kasse oder am Beratungstresen für Tapeten. Und in der Modeabteilung gibt man sich ganz casual: Caterpillar-Boots und Blaumann, Handwerkerhosen mit Doppelreißverschluss.

Während mein Freund irgendwo in den hinteren Gefilden des Marktes verschwunden ist – Abteilung Holz und Furnierplatten –, wandele ich mit auf dem Rücken gefalteten Händen durch den Baumarkt, als gälte es ein Museum zu durchschreiten. Ein Hartz-IV-Kinderbett wird besichtigt, zwei Etagen und aus billigem Metall. Im Weihnachtszelt Hochspannungs-Lichterketten für den Fassadenbetrieb, blinkende Nikoläuse, Sprühschnee und ein Bing-Crosby-Klangteppich. Die Kalenderauswahl für das Jahr 2006: Hunde, Katzen und Pferde für die Damen, Extremsport für den Herrn. Im Baumarkt sein ist, als sei man bei Hinz und Kunz zu Besuch, hier werden die Grundlagen geschaffen für die individuellen Wohnwelten von Ikea bis Möbel Martin, hier werden Laminat und Estrich beschafft, Bohraufsätze und 17er Flansch-Dichtungen mit rechtsdrehender Nuss.

Das Museumscafé im Globus Baumarkt heißt Trefferia und man nimmt dort eine Bockwurst zum Kaffee. Der Chef ruft den Monteur auf dem Handy an und treibt zum nächsten Termin, stechender Wurstdunst, und mein Freund ist nicht mehr zu sehen, wahrscheinlich ist er in eine sehr sachliche Diskussion verstrickt, sein Handy ist mal wieder ausgeschaltet, und fast möchte man ihn ausrufen lassen: „ … sitzt in der Trefferia und wartet.“ Wo bin ich hier bloß? Mit dem Freund in den Baumarkt, das ist wohl das Äquivalent zu „mit der Freundin zum Schuhekaufen“.

Erstaunlich, dass dieser ganze Krempel in den Cinquecento passt. Zurück in die kleine Ackerbürgerstadt, vorbei an Alleen und Straßendörfern mit Häusern, die von Kopf (Ziegel, die wie geschmolzene Schokolade aussehen) bis Fuß (Styropor-Isolierplatten mit Rauputz) auf Baumarkt eingestellt sind. In unserer Straße haben sich die örtlichen Jungmänner um ihre tiefer gelegten Opel Vectras gruppiert und glotzen unverhohlen, als wir mit dem Fiat auftauchen. Ich finde den Wagen toll, aber von der Performance her ist er echt „VOLL SCHWUL“ irgendwie. Allerdings konnten wir einiges an Terrain wiedergutmachen, als wir mit eckigen Bewegungen unsere schweren Kalk- und Zementsäcke ausgeladen haben. So etwas verleiht einfach Glaubwürdigkeit in der lokalen Flansch-Szene.

Es war wieder nur einer dieser Ausflüge in den Baumarkt, eine Episode in der kleinen Geschichte vom großen Traum des eigenen Häuschens, das es auszugestalten gilt. Und irgendwann einmal wäre doch so ein Außen-Jacuzzi gar nicht schlecht, man könnte ihn ja vielleicht mit Solarenergie betreiben. Gibt es ja alles. Im Baumarkt.

Fotohinweis: MARTIN REICHERT LANDMÄNNER Fragen zum Baumarkt? kolumne@taz.de MORGEN: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN