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Archiv-Artikel

MARTIN REEH ÜBER DIE SPD UND DIE RENTENDISKUSSION Murks für die Kernklientel

Eineinhalb Monate nach Abschluss des Koalitionsvertrages ist die Frage offen: Steht die SPD in den Umfragen noch immer bei 26 Prozent, weil sie vordringlich ihre Kernklientel befriedigt – oder sorgt sie vordringlich für ihre Kernklientel, weil sie auf Stimmenzuwächse bei prekär Beschäftigten ohnehin nicht mehr hofft?

Die Rente nach 45 Beitragsjahren ist ein Projekt der Wiedergutmachung an der Stammwählerschaft der Sozialdemokraten: an den meist älteren männlichen Facharbeitern, die durch die Rente mit 67 von der Partei entfremdet wurden. Nur damit lässt sich die Hartnäckigkeit erklären, mit der Andrea Nahles an der geplanten Neuregelung festhält.

Die jetzt durchgesickerten Nachbesserungen der Arbeitsministerin an dem Gesetz bedeuten Murks – und weitere Ungerechtigkeiten. Die bislang geplante Rente mit 63 bevorzugte ohnehin diejenigen, die unter Helmut Kohl langzeitarbeitslos wurden, und bestrafte diejenigen, die es unter Rot-Grün geworden sind, weil vor den Schröder’schen Arbeitsmarktreformen länger Arbeitslosengeld I gezahlt wurde. Das kann auf die Rente mit 63 angerechnet werden, Arbeitslosenhilfe beziehungsweise Hartz IV nicht.

Da – wie sich jetzt herausstellte – die Unterlagen über die Art des Arbeitslosengeld-Bezugs erst ab 2001 bei der Rentenversicherung vorliegen, will Nahles für die Zeit davor eine eidesstaatliche Versicherung als Nachweis anerkennen. Um das Gesetz für die Kernklientel zu retten, öffnet sie dem Missbrauch Tür und Tor. Und vergrößert das, was in ihrem Jargon „Gerechtigkeitslücke“ heißt: Kohls Arbeitslosen wird Missbrauch leicht gemacht, rot-grünen Hartz-IV-Empfängern nicht. Ihnen bleiben alle offiziellen Wege versperrt, während Nahles für andere sogar die inoffiziellen öffnet. Das Prekariat gewinnt man so nicht zurück.

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