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Archiv-Artikel

MARTIN KAUL ÜBER DEN FUNKTIONSTRÄGER SARRAZIN Akademisch & deutsch

Die Selbstbestätigung durch Abgrenzung erfüllt eine Funktion: ohne zweite Klasse keine erste

Thilo Sarrazin leidet an einem chronischen Haudrauf-Syndrom, das sich bevorzugt gegen ausländische Minderheiten richtet. Sein neuester Coup: Geht es nach ihm, weisen Zuwanderer aus der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika weniger Bildung auf als Migranten aus anderen Ländern. Weil sich diese Bevölkerungsgruppen überdurchschnittlich vermehrten und Intelligenz zu 80 Prozent biologisch vererbt würde, werde Deutschland „auf natürlichem Wege durchschnittlich dümmer“.

Die Absurdität dieser auf biologistische Rassismen zurückgreifenden Kurzschlüsse liegt auf der Hand. Bemerkenswert ist, positiv formuliert, mit welcher demokratischen Souveränität sich eine Gesellschaft einen solchen Repräsentanten in der Vorstandsetage ihrer Bundesbank leistet. Negativ formuliert: wie anknüpfungsfähig solche Äußerungen noch immer sind. Denn natürlich erfüllt der permanente Fingerzeig auf sozial ausgegrenzte Gruppen eine gesellschaftliche Funktion: die Selbstbestätigung durch Abgrenzung. Ohne Menschen zweiter Klasse gibt es auch keine erste. Nicht Sarrazin, der als Funktionsträger diese exklusive Sehnsucht bestärkt, ist das Problem, sondern das gesellschaftliche Bedürfnis nach dem schlimmen Anderen.

Ein Pendant für diese Haltung ist derzeit auf einer ganz anderen Ebene zu betrachten: Die Streichung des Elterngeldes nur für Hartz-IV-Empfänger zielt in ihrer Absicht auf eine Politik der Randgruppen-Verminderung. Kulturell ausgegrenzte Hartz-IV-Familien sollen sich nicht noch weiter vermehren. Gewünscht sind: weniger Hartz-Blagen, mehr deutsche Akademikerkinder. Das muss nicht rassistisch begründet sein. Wohl aber wird der Vermehrung von Menschen zweiter Klasse auch ganz aktuell bevölkerungspolitisch entgegengesteuert. Und das ficht so recht niemanden an.

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