Luxusgut Bildung in Uganda. Ein Protokoll: Wenn das Schulgeld nicht reicht
In vielen afrikanischen Ländern ist Bildung noch immer ein Luxusgut: So müssen Kinder wie die zehnjährige Juliette Nabaale arbeiten, um sich ihre Schulgebühren selbst zu verdienen. Ein Protokoll.
Mein Name ist Juliette, ich bin zehneinhalb Jahre alt und besuche die vierte Klasse der Kampala Pupils Primary Schule. Das Schuljahr ist nun zu Ende. Wir haben vergangene Woche unsere Abschlusstests geschrieben. Ich denke, ich habe gar nicht schlecht abgeschlossen. Aber mein Lehrer will mir mein Zeugnis nicht geben, weil ich die Schulgebühren für das Semester noch nicht bezahlt habe. Ohne Zeugnis kann ich mich aber nicht für das nächste Semester anmelden. So ist es mir vor zwei Jahren schon ergangen. Damals musste ich das Jahr wiederholen.
Dabei arbeite ich so hart. Ich stehe sehr früh auf, es ist noch gar nicht richtig hell. Zuerst gehe ich Wasser holen mit dem großen Kanister, der so schwer ist. Anschließend wasche ich mich und esse eine Kleinigkeit. Aber dann muss ich mich auch schon beeilen. Die Schule beginnt um sieben. Sie ist vier Meilen von unserem Haus entfernt, oben auf dem Hügel. Ich muss eine Stunde zu Fuß gehen, denn der Schulbus ist zu teuer. Wenn ich zu spät komme, werde ich bestraft und muss eine Woche lang die Schülertoiletten putzen.
Alle Schüler müssen nach Unterrichtsschluss um fünf Uhr Nachmittags helfen, die Schule zu putzen. Dazu müssen wir sogar unseren eigenen Handfeger mitbringen. Unsere Schule hat keinen Zementfußboden, nur Sand. Darin verstecken sich die Sandwürmer, die durch kleine Wunden an den Füßen in deine Haut hineinschlüpfen und dich krank machen. Deswegen müssen wir jeden Tag fegen.
Wenn ich am Abend nach Hause komme, dämmert es schon. Ich bin dann müde vom Schulweg und hungrig, denn das Schulmittagessen ist nur eine ganz kleine Portion. Deswegen bin ich manchmal ganz schwach und mir ist schwindelig am Nachmittag. Es gibt jeden Tag Reis und Bohnen. Ich kann mich im Unterricht nicht richtig konzentrieren. Aber zu Hause muss ich auch erst mal wieder laufen: Mit dem leeren Kanister zur Wasserstelle hinunter und dann den ganzen Weg mit zehn Kilo Wasser bergauf zurück.
Anschließend hole ich Holzkohle und helfe meiner Mutter, das Abendessen zuzubereiten: Matoke, Cassava, Reis und Bohnen. Fleisch gibts nur selten. Während das Essen köchelt, laufe ich zu Onkel Paul. Onkel Paul ist unser Nachbar und er ist ein reicher Mann. Er hat so viel Geld, dass er einen Fernseher hat und den ganzen Tag vor dem Fernseher hockt und trinkt und trinkt und raucht und raucht. Onkel Paul schickt mich, Bier und Waragi (eine lokale Gin-Sorte) zu kaufen. Manchmal sind es so viele Flaschen, dass ich zweimal zum Laden gehen muss. Dann sagt mir Onkel Paul, was ich kochen soll. Er will immer Hühnchen oder Schweinefleisch. Während das Essen kocht, putze ich bei ihm, wasche das Geschirr und seine Wäsche. Onkel Paul hat eine richtige Dusche in seinem Badezimmer. Zur Belohnung darf ich manchmal duschen. Es ist herrlich, wenn das Wasser aus der Leitung kommt.
Onkel Paul ist mein Freund. Er mag es nicht, wenn ich nicht zur Schule gehe. Deswegen bezahlt er mir manchmal die Schulgebühren oder gibt mir am Morgen ein paar hundert Schilling, damit ich am Kiosk eine Flasche Trinkwasser kaufen kann. Es ist wirklich furchtbar, durstig in der Schule zu sitzen. Das Wasser, das wir in der Schule haben, das macht nämlich krank.
In meinem Leben dreht sich alles um Schulgebühren. Jeden Tag denke ich nur an Schulgebühren. 58.000 Schilling (Umgerechnet rund 20 Euro) kostet das Semester in meiner Schule, und 25.000 Schilling für das Mittagessen. Ich muss mindestens 12 Schulhefte, drei Bleistifte und ein Lineal mitbringen. Der Direktor verlangt auch zwei Rollen Toilettenpapier und einen Handfeger pro Semester. Und natürlich muss ich auch eine Schuluniform tragen.
Ich mag meine Schuluniform. Sie ist rot-weiß kariert. Aber der Rock war immer zu kurz. Wenn ich das Klassenzimmer mit dem Handbesen fegen musste, haben die anderen Kinder mich gehänselt, weil sie meine Unterhosen sehen konnten. Meine Mutter hat dann aus einem anderen Stoff eine neue Uniform genäht. Diese ist nun lang genug. Doch dann hatte ich ein weiteres Problem: Ich benötigte Schuhe und einen Rucksack. Im vergangenen Semester hatte ich beides nicht, der Lehrer schickte mich nach Hause. Dieses Jahr habe ich keine Sportsachen. Aber der Lehrer hat mich zum Glück noch nicht nach Hause geschickt.
Eigentlich muss mein Vater meine Schulgebühren und meine Schulsachen bezahlen. Aber mein Vater sagt immer: Es gibt kein Geld. Ich verstehe meinen Vater nicht. Er hat vier Frauen und viele, viele Kinder. Ich habe so viele Geschwister, ich kann sie gar nicht alle zählen - mindestens zwanzig. Und er produziert immer mehr Babys! Seine vierte Frau ist nun wieder schwanger. Dabei reicht doch das Geld jetzt schon nicht für uns und unsere Schulgebühren! Meine älteste Schwester, Betty, ist nun in der Abschlussklasse. Aber sie kann ihre Prüfungen nicht ablegen, weil sie die Prüfungsgebühr nicht bezahlen kann.
Mein Vater ist eigentlich kein armer Mann. Er hat ein großes Haus mit einer Mauer und einem Eisentor. Und er hat mehrere kleine Häuser, in welchen jeweils die Frauen leben. Alle meine Brüder und Halbbrüder leben im Haus meines Vaters. Wir Mädchen leben bei unseren Müttern. Meine Mutter hat eine Hütte mit einem Wellblechdach. Sie steht direkt hinter der Mauer, die das Haus meines Vaters beschützt. Dort lebe ich mit meiner Mutter und meinen drei Schwestern. Die Hütte ist klein, wir haben nur Platz für die beiden doppelstöckigen Betten. Wir kochen, waschen und spielen draußen. Wenn es regnet, verkriechen wir uns in den Betten, denn dort ist es warm. Ich habe nämlich keinen Pullover.
Mein Vater versteht das Problem mit den Schulgebühren nicht. Ich weiß nicht, warum. Vor einem Jahr besuchten ich und meine Geschwister noch eine andere Schule. Ich mochte die Schule sehr. Es gab immer Tafelkreide und auch genug Mittagessen. Die Schule war etwas teurer als die, auf die ich nun gehe. Doch mein Vater konnte nicht bezahlen. Der Direktor schickte mich und meine Geschwister nach Hause. Als mein Vater das erfuhr, warf er uns vor, wir würden die Schule schwänzen, weil wir zu faul seien. Er hat uns verprügelt und gedroht, dass er uns nächstes Mal mit dem Stock schlägt, wenn das noch einmal passiert. Das macht er immer so. Selbst als ich einmal Malaria hatte und deswegen einige Tage nicht zur Schule ging, hat er mich geschlagen. Ich lebte einmal für längere Zeit im Haus meines Vaters. Das war nicht schön. Wir haben nur einmal am Tag Essen bekommen. Ich war nach einiger Zeit ganz mager und schwach. Damals hat er mich oft geschlagen. Einmal hat er mich so sehr geprügelt, dass mein Gesicht geschwollen und blutig war. Ich bin zu meiner Mutter gelaufen. Sie bestand darauf, dass ich nun wieder bei ihr lebe. Meine Mutter schimpft zwar, aber sie schlägt uns nicht.
Damals ging meine Mutter zur Polizei. Sie zeigte meinen Vater an, weil er keine Schulgebühren bezahlte. Aber als Frau erreicht man bei der Polizei nicht viel. Die Polizisten ließen meinen Vater gehen. Dieser hat dann beschlossen, uns alle auf eine billigere Schule zu schicken. Das ist die Schule, die ich nun besuche. Aber die Schule ist so arm, dass die Lehrer kein Gehalt bekommen. Manchmal bleiben die Lehrer zu Hause. Dann sitzen wir alleine im Klassenzimmer und müssen die Lektionen wiederholen, die wir schon gelernt haben.
Aber immerhin, an diesen Tagen gibt es keine Prügel mit dem Stock. Mein Lehrer prügelt uns oft. Er zieht den Stock über meine flache Hand, wenn ich nicht still sitze. Wir werden auch geschlagen, wenn wir auf unserer Muttersprache Luganda flüstern. In der Schule darf man nämlich nur Englisch sprechen. Mittlerweile bin ich sehr gut in Englisch und kann alle Wörter, jetzt erwischt es mich nicht mehr so oft.
Ich fühle mich schlecht, weil ich so oft den Unterricht verpasse. Ich war einmal ein ganzes Schuljahr zu Hause und musste dann die Klasse wiederholen. Dabei gehe ich so gern zur Schule. Ich lerne wirklich hart. Mein Lieblingsfach ist Englisch und ich bin richtig gut darin. Ich mag auch Wissenschaft, zum Beispiel Geografie und Geschichte. Aber ich bin schlecht in Mathematik. Eigentlich müsste ich zu Hause üben, aber ich habe keine Zeit. Wenn ich abends eine ruhige Minute habe, ist es schon dunkel und wir haben keinen Strom zu Hause, nur eine Paraffinlampe. Aber ich sehe dann in meinem Schulheft nicht, was ich schreibe.
Dabei will ich doch gut in der Schule sein. Ich habe nämlich einen Traum: Ich will einmal Ärztin werden. Ich finde Ärzte toll. Sie können anderen Menschen helfen. Und sie können sich und ihrer Familie helfen, wenn jemand krank ist. Wenn ich einmal Ärztin bin, dann kann ich meine Geschwister behandeln. Außerdem glaube ich, dass Ärzte gut verdienen. Es gibt ja so viele kranke Menschen hier. Und dann kann man sich alles leisten und alle seine Wünsche erfüllen - und ich kann meinen Kindern die Schulgebühren bezahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt