Luisa Neubauer über Wege zu Klimapolitik : Kulturkampf kann man nur verlieren
Fünf Jahre nach dem ersten Klimastreik kann man live sehen, wie das Schöne der Klimabewegung in Teilen dem Verhärteten weicht.
taz FUTURZWEI | Anfang August erlebt Slowenien die schwersten Fluten in der Geschichte des Landes, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reist an, der deutsche Kanzler verspricht Hilfe. Als Nika Kovač, eine bekannte slowenische Aktivistin, mir davon erzählt, buche ich einen Zug. Zwei Tage später stehe mit anderen Aktivistinnen knietief im Schlamm und schaufle. Man steht aber nicht in irgendwelchem Schlamm. Das Erste, was bei solchen Fluten überläuft, sind die Abwasserkanäle, alles ist kontaminiert. Ein österreichisches Fernsehteam ist auch dabei, sie fragen, »ob Klimaschutzmaßnahmen mit Wohlstand vereinbar seien«. Neben mir räumt ein einsamer Bagger eine vollständig zerfetzte Industrieanlage auf.
»JEDE FAHRRADSTRAßE, JEDE WÄRMEPUMPE, JEDES WINDRAD WIRD ZUM ANGRIFF AUF DIE REPUBLIK, JEDER METER AUTOBAHN ZUR FESTUNG BÜRGERLICHER FREIHEITSFUNDAMENTE.«
Luisa Neubauer
Lange hatte man gehofft, dass genug Klimakatastrophen die Politik schon zum Handeln bringen würden, der Katastrophensommer 2023 bricht mit dieser Vorstellung, nirgends ist angemessenes politisches Handeln in Sicht.
Stillstand und Unzufriedenheit
Katastrophen bringen uns nicht weiter, aber Klimaschutz im Kleinen, gekoppelt an Lebensqualität, das gewinnt die Menschen – oder? Ich denke an die Kolumbusstraße im Münchner Süden, wo für ein »Sommerprojekt« zwei Straßen provisorisch für den Autoverkehr gesperrt und stattdessen Rasen und Sandkästen aufgebaut wurden. Es passiert, was passieren muss: »Parkplatzklau« wird zum Stichwort, in einer Münchner Boulevardzeitung kommentiert eine Anwohnerin den Zustand im Viertel mit den sinnlichen Worten: »Und jetzt herrscht Krieg. Die Stimmung ist ganz, ganz beschissen.« Es treibt in den Wahnsinn, ich denke an das wahrlich beschissene Aufräumen in Slowenien, da hatten die Menschen vor Ort bemerkenswert gute Laune.
Statt Kampf gegen die Klimakrise bringt das Jahr 2023 bisher vor allem eins: Kampf um Kultur. Jede Fahrradstraße, jede Wärmepumpe, jedes Windrad wird zum Angriff auf die Republik, jeder Meter Autobahn zur Festung bürgerlicher Freiheitsfundamente.
All das führt zu exakt zwei Dingen, auf die man sich noch einigen kann: zum weitgehenden klimapolitischen Stillstand und zu einer umfassenden Unzufriedenheit mit dem Stillstand.
Die Welt muss wieder schön werden
Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.
Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur
Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.
Eine gemeinsame Vorstellung von einem guten Leben
Im Zug auf dem Rückweg aus Slowenien schreibe ich Nikolaj. Sein ganzer Name ist Nikolaj Schultz, er ist ein dänischer Soziologe und hat an der Science Po in Paris bei Bruno Latour studiert. Wir sind befreundet, alle paar Monate treffen wir uns in Berlin oder Paris und trinken Bier. Vor ein paar Jahren hat er zusammen mit dem nun verstorbenen Soziologen Latour ein Memorandum Zur Entstehung der ökologischen Klasse veröffentlicht, jetzt erschien sein autobiographisches Werk Landkrankheit.
»First of all: don’t be surprised«, sagt er. In einem Vortrag erklärte er kürzlich: »Der Einsatz für den Erhalt der Lebensgrundlagen ist keine Friedensverhandlung. Es ist eine Kampfansage.«
Was in diesem Jahr deutlich wird: Die Ökologischen sind in ebendiesen Kampf gezogen, ohne sich ausreichend Gedanken darüber zu machen, wer hier gegen wen steht. Die Konsequenz: Man verstrickt sich in wirren Mikrodebatten, lässt sich von rechtem Populismus aus dem Konzept bringen und erweckt den Eindruck, die Ökologischen seien zunächst einmal gegen alles.
»Es braucht ein wohldefiniertes ›Wir‹ und ein ebenso wohldefiniertes ›Die Anderen‹«,sagt Nikolaj. Es ginge schließlich gar nicht darum, dass »alle« auf einer Seite ankommen würden, sondern dass im Sinne des italienischen Soziologen Gramsci eine »Hegemonie« erstritten wird. Dieses »Wir« könne aber nicht erwachsen, wenn in der »ökologischen Klasse« – wie er und Latour sie bezeichnen – keine anziehende und vereinende Kultur entsteht. Es brauche auch eine gemeinsame Vorstellung von einem guten Leben: »Die kulturelle Sphäre ist im Kampf um den Erhalt der Bewohnbarkeitsbedingungen ebenso wichtig wie die Politik!«Ich denke: Leichter gesagt als getan.
Wobei, so gesehen, könnte man meinen, die Entwicklung eines anziehenden Lebensgefühls war 2019 hauptverantwortlich für den Erfolg von Fridays for Future. Vordergründig hatte Greta genau das gemacht, wovon Nikolaj meint, dass es alleine nicht reicht, nämlich geradlinig auf objektive Interessen (Erhalt von Lebensgrundlagen) und die Wissenschaft verwiesen. Dahinter aber steckte etwas viel Mächtigeres: ein emanzipiertes und kämpferisches Weltverständnis, eine gelebte Sehnsucht, aus zerstörerischen Pfaden auszubrechen, nicht still und heimlich, sondern laut und kollektiv. Das war nicht geplant, viel eher eine zufällige Nebenwirkung. Vielleicht konnte es genau deshalb aufgehen.
Haben wir Zeit für die Entwicklung einer ökologischen Kultur?
Fünf Jahre nach dem ersten Schulstreik in Schweden verändert sich jetzt aber die Tonlage, die Katastrophen werden immer gewaltiger und man kann live zusehen, wie das Anziehende und Schöne in der Klimabewegung in Teilen dem Verhärteten und Verzweifelten weicht. Haben wir Zeit für die Entwicklung einer ökologischen Kultur?
»Ihr müsst euch die Zeit nehmen, gerade weil ihr keine Zeit habt«, sagt Nikolaj dazu. Er gibt ein Beispiel: In Talkshows erlebt man immer wieder Runden, wo weder Sozialdemokrat noch Konservativer oder Liberaler ein echtes Verständnis der ökologischen Lage, geschweige denn adäquate Auswege mitbringen würden, sie sich aber durchsetzen, weil sie im Gegensatz zum Aktivsten in der Runde ein ideologisches Angebot machen, im besten Sinne. Der Aktivist in der Runde hingegen schreckt ab. »Die Rhetorik der Ökologie ist zu einem langweiligen Cocktail von ›sollen‹ und ›müssten‹geworden.«
Was heißt das für München-Süd? Das Problem ist nicht der Konflikt als solcher. Es ist vielmehr, dass es der politischen Ökologie nicht gelungen ist, diese Konflikte zu identifizieren und sich selbstbewusst zu behaupten – und dass es ihr nicht gelungen ist, die Konflikte zu einer einheitlichen Erzählung zu verbinden, die die Menschen für politisches Handeln mobilisieren kann.
Hier verschränken sich im nächsten Schritt ökologische und demokratische Existenzfragen. Rechtspopulistische Kräfte nutzen ihre antiökologische Agenda schon heute, um demokratische Klimapolitik anzugreifen. Schafft es die ökologische Klasse nicht, dem ein attraktives Gegenangebot entgegenzustellen, wird vermutlich alsbald erklärt, wahre Demokraten machen keinen Klimaschutz, um bloß die Rechten nicht weiter aufzustacheln.
Dahinter steckt auch eine gute Nachricht. Es ist nicht stumpf einem Versagen des ökologischen Diskurses anzulasten, dass wir in einem Kulturkampf gelandet sind, denn es geht in diesen Tagen schlicht auch um die Verhandlung einer Kultur. Das allerdings wollten gerade die Pragmatiker unter den Ökos bisher nicht wirklich zugeben. Man dachte, die Wirklichkeit würde schon für sich sprechen – Erneuerbare rentieren sich heute, Windräder werden effizienter und E-Autos beliebter. Im Lichte wachsender klimapolitischer Hysterie reicht das offensichtlich nicht.
Die fossile Kultur wird zwar verteidigt, aber immer weniger gelebt
Was der ökologischen Klasse in die Hände spielt: Auch das »Wir« der Fossilität ist fragiler, als ihnen recht ist, ihre kulturellen Ideen zeigen im Rhythmus von Hubert Aiwangers »Esst Fleisch«-Gebrülle regelmäßig, wie gestrig und unoriginell sie im Kern sind. Und schon jetzt wird deutlich, dass diese fossile Kultur zwar verteidigt, aber immer weniger gelebt wird. Auch in Christian Lindners Eigenheim ist mittlerweile eine Wärmepumpe eingezogen.
Wie Kultur und Klima zusammenkommen können, sehen wir in Ansätzen schon überall. Bisher allerdings noch zu oft als »Wohltat« an die Klimabewegung, statt als eigenständige Entwicklung in unserem planetaren Ringen. Das kann sich jederzeit ändern. Es würde bedeuten, dass nicht länger »die Straße« der einzig prominente Austragungsort der ökologischen Frage bleibt, sondern sich Theater und Kinos, Clubs und Opern, Fußballplätze und Gemeindezentren anschließen.
Es sind große Fragen: Wo werden die Konfliktlinien in diesen Kulturkampf gesteckt – und von wem? Streiten wir endlos weiter entlang einzelner Quadratmeter an Asphalt oder irgendwann entlang echter Visionen einer freien Gesellschaft?
Politische Forderungen kann man sauber ausdiskutieren, sie brauchen keine Gefühle, sie brauchen nur Argumente. Eine gelebte ökologische Kultur lässt sich nicht im Plenum beschließen, sie wächst unsortiert und ganz ohne Struktur-AG – kurz, sie mutet einer Klimabewegung etwas zu. Ja, die Ökologie vereint uns nicht kategorisch. Das kann man als Befreiung verstehen, ich zumindest tue das. Und doch ist es womöglich das große Potenzial der politischen Ökologie. Warum? Ganz einfach: Harmonie macht müde, strategisch gewählte Konflikte hingegen mobilisieren im Zweifel ungeahnte Kräfte.
In Slowenien hat meine Freundin Nika vor drei Jahren ein historisches Referendum für den Schutz des Wassers gewonnen, entgegen den Plänen der autoritären Regierung. Damit alle zum Rathaus kommen und abstimmen können, haben unter anderem Taxifahrer kostenlose Fahrten angeboten. Sie lacht, als sie erklärt, wie sie das alles bewerkstelligt haben: »We fight, we dance, we fight, we dance.«
LUISA NEUBAUER ist Klimaaktivistin, Geografin und Autorin, ihr aktuelles Buch Gegen die Ohnmacht (Tropen 2022) schrieb sie gemeinsam mit ihrer Großmutter.
Dieser Beitrag ist im September 2023 im Magazin taz FUTURZWEI N°26 erschienen. Abonnieren Sie taz FUTURZWEI und verpassen Sie keine Ausgabe mehr.