: Ludwigsburg-Connection
Die Kritik des NSU-Untersuchungsausschusses an den Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg wird zu einem Problem der grün-roten Landesregierung. Innenminister Reinhold Gall (SPD) sprach von „ungerechtfertigten Schmähungen“. Gemeint hat er damit nicht nur den grünen Obmann Wolfgang Wieland, sondern auch die baden-württembergischen Abgeordneten Clemens Binninger (CDU) undHartfried Wolff (FDP)
von Thomas Moser
Baden-Württemberg ist der weißeste Fleck im NSU-Ausschuss, sagt Wolfgang Wieland. Sein FDP-Kollege Hartfried Wolff (Wahlkreis Waiblingen bei Stuttgart) drückt es so aus: „Beim Mord in Heilbronn sind wir seit dem 4. November 2011 keinen Schritt weiter.“ Er spricht von „katastrophalen Ermittlungspannen“. Und Clemens Binninger machte bei der Sitzung des Untersuchungsausschusses Mitte April eine Bemerkung, die mit einem Schlag die Tür zum unaufgeklärten Hintergrund des NSU-Mordkomplexes weit aufstößt: Der Ku-Klux-Klan (KKK) in Baden-Württemberg komme ihm vor wie ein „Testballon“, sagte der CDU-Obmann und gelernter Kriminalbeamter, sprich: ein Projekt der Sicherheitsbehörden. Vielleicht habe man geschaut, wie weit man mit dieser Gruppierung komme und dann die Luft wieder rausgelassen, mutmaßt der Abgeordnete aus dem Wahlkreis Böblingen bei Stuttgart.
Der Untersuchungsausschuss kennt mittlerweile einige Verbindungen zwischen der rechtsextremen Szene Ostdeutschlands und Baden-Württemberg. Und er weiß, dass die Behörden im Südweststaat in der Zeit der schwarz-gelben Landesregierungen versagt haben. Um so erstaunlicher ist es, dass der sozialdemokratische Innenminister dies alles deckt: „Abgesehen vom Einsatz verunreinigter Wattestäbchen und der Jagd nach einem Phantom, was sie schließlich selbst aufdecken konnten, haben sich die Sicherheitsbehörden bei den Ermittlungen zum Heilbronner Polizistenmord nichts vorzuwerfen“, widersprach Reinhold Gall dem Berliner Ausschuss. Der Landtagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Landkreis Heilbronn: „Wir werden den Schwarzen Peter aber nicht annehmen.“ Ob Gall mit „wir“ die gesamte Regierung meint, bleibt abzuwarten. Denn noch halten sich die Grünen öffentlich zurück. Die Ergebnisse der Sitzung des Untersuchungsausschusses vom 18. April wurden aber genau registriert.
An diesem Tag musste die Bundesanwaltschaft sowie das Bundes- und das Landeskriminalamt in Stuttgart über den Stand der Ermittlungen in Baden-Württemberg Auskunft geben. Konkret: über Personen, die Kontakt zur NSU-Gruppierung hatten, sowie über den deutschen Ku-Klux-Klan-Ableger mit Sitz in Schwäbisch Hall.
NSU-Verbindungen nach Baden-Württemberg
Die morgendliche Sitzung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Begründung überrascht: Es gehe um Ermittlungen nach dem November 2011, der Untersuchungsauftrag des Ausschusses erstrecke sich aber nur bis zum November 2011. Eine solche Einschränkung ist neu. Seit einem Jahr deckt der Ausschuss wiederholt Vertuschungen der Behörden seit November 2011 auf. Soll er jetzt an die Leine gelegt werden? Auch, weil er den Prozess in München durch seine Arbeit „stören“ könnte? Denn: Hier in Berlin wird gerade aufgeklärt, während dort in München so getan wird, als kenne man die Täter und die Mordumstände.
Die Verbindungen zwischen der rechtsextremen Szene Ostdeutschlands und Baden-Württemberg werden inzwischen klarer. Da ist der Neonazi Markus Friedel, der zusammen mit Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Jena an einer Kreuzverbrennung in KKK-Manier teilnahm. Friedel zog nach Heilbronn, wo er sich weiter neonazistisch betätigte. Da ist Andreas Graupner, ein Vertrauter des Trios, der 2001 seinen Wohnsitz von Chemnitz nach Ludwigsburg verlegte und in der Rechtsrock-Band Noie Werte mitspielte. Die NSU-Mord-DVDs sind mit Musik der Gruppe unterlegt.
Auf der bekannten Adressliste von Uwe Mundlos finden sich mehrere Namen aus Ludwigsburg. Mehrmals reisten die Rechtsextremisten Torsten Schau und Jan Werner aus Chemnitz an, die zum NSU-Umfeld zählten. Auch die drei Gesuchten tauchten in der Stadt auf, noch nach den ersten Morden. Und dann hielt sich in Ludwigsburg noch eine besondere Person auf: Thomas Starke, ebenfalls Kontaktmann zum Trio und spätestens ab 2000 Informant des Landeskriminalamts Berlin. Was Starke, die „V-Person 562“, alles berichtete, ist nicht ganz klar. Auch in Berlin wurden Polizeiakten in den Reißwolf gesteckt. Der VP-Führer wurde im Ausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt. Eine Information Starkes vom August 2003 verweist auf einen Ludwigsburger, der mit Waffen handelte. In einem Brief an Starke schwärmte Mundlos von einem Waffenladen in Ludwigsburg. Insgesamt eine regelrechte „Ludwigsburg-Connection“, so der Ausschuss.
In dieses Geflecht könnte die Geschichte passen, die der baden-württembergische Ex-Verfassungsschützer Günter Stengel im vergangenen Jahr zu Protokoll gab. Ein Informant berichtete ihm 2003 von einer gewalttätigen rechtsradikalen Gruppe in Ostdeutschland namens NSU, die Beziehungen nach Heilbronn hatte. Sie umfasste mindestens fünf Leute, einer hieß Mundlos. Stengel musste, wie er im September 2012 vor dem Untersuchungsausschuss erklärte, seinen Bericht damals auf Weisung von oben vernichten. Stengels Schilderung wurde von der Bundesanwaltschaft für unglaubwürdig erklärt, der Mann in der Presse abqualifiziert. Der SWR nennt die Geschichte bis heute auf seiner Webseite „Mumpitz“. Jetzt erfährt man weitere Einzelheiten. Zeuge ist niemand Geringeres als Stengels früherer Chef, der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) von 1995 bis 2005, Helmut Rannacher.
Der bisher als „Stauffenberg“ bekannte Informant, so Rannacher, war einmal V-Mann des LfV in Stuttgart, Deckname: „Erbse“. Er wurde dem Landesamt von der Polizei angedient. „Erbse“ sei ein interessanter Informant gewesen, so Rannacher, aber nicht führbar. Man habe die Zusammenarbeit nach vier Monaten abgebrochen, in Absprache mit dem LKA. Trotzdem habe der Mann immer wieder Kontakt zum LfV gesucht. So auch im Sommer 2003. Weil er angab, auch etwas über den israelischen Geheimdienst Mossad zu wissen (nicht im Zusammenhang mit dem NSU), habe man jemanden von der Abteilung Spionage zu ihm geschickt. Das war Günter Stengel. In der Sitzung am 18. April bezeichnet Rannacher Stengel als „qualifizierten und erfahrenen Beamten“. „Stauffenberg/Erbse“ erneut zu treffen, auch im Wissen um dessen problematische V-Mann-Vergangenheit, war jedenfalls die Entscheidung der Amtsleitung.
Offensichtlich nahm das LfV dessen Hinweise ernst. Umso fragwürdiger erscheint, warum die Spitzenkraft Stengel ihren Bericht vernichten sollte. An diesem Punkt weicht Rannachers Version von der Stengels ab. Berichte einfach so zu vernichten entspreche nicht „unserer Gepflogenheit“, sagt er. „Aber“, schließt er an, „ich kann auch nicht sagen: Das gab's nicht.“ Fakt ist: Ein schriftlicher Bericht findet sich im Amt nicht.
Der Ku-Klux-Klan-Gründer Achim Schmidt war, das ist unstrittig, ein V-Mann des LfV Baden-Württemberg. Laut Helmut Rannacher von 1994 bis 2000, eingesetzt im Bereich NPD, Skinheadmusik. Er sei aber im Oktober 2000 abgeschaltet worden, eben weil er den KKK gegründet habe. Diese Gründung habe das Amt nicht gewollt. Obendrein hätten sie Schmidt bei einer Lüge ertappt. Er habe abgestritten, der Gründer zu sein. Von nun an werden Rannachers Auskünfte im Ausschuss dünner. Wie viele Polizeibeamte machten beim KKK mit? Zwei waren feste Mitglieder. Das ist nachgewiesen und bekannt: Jörg W. und Timo H. Sie kamen aus der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) in Böblingen, zu der ab 2005 auch die in Heilbronn getötete Michèle Kiesewetter und der schwerverletzte Polizist Martin A. gehörten. Die Abgeordneten wissen aus den Akten von mindestens drei weiteren Beamten, die Kontakt zum KKK hatten, darunter eine Polizistin. Und entgegen der offiziellen Version, der rassistische Geheimbund habe sich 2003 aufgelöst, soll er noch bis mindestens Oktober 2004 aktiv gewesen sein. Neben dem LfV in Stuttgart hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine Quelle im KKK: jener Thomas Richter, Deckname „Corelli“, der auch in Kontakt zu Uwe Mundlos stand. Der Geheimbund eine Gründung des Geheimdiensts? Wurde die LfV-Quelle Schmidt tatsächlich abgeschaltet? Der LfV-Präsident a. D. muss jedenfalls einräumen, dass es Jahre später mindestens zwei Gespräche des Verfassungsschutzes mit Schmidt gab. Dabei soll es um die Absicherung des V-Mannes „Corelli“ gegangen sein.
Vieles bleibt auch in dieser Ausschusssitzung unklar. Wie konnte es sein, dass sich Schmidt, als er V-Mann war, in den USA mit KKK-Aktivisten traf, ohne dass das LfV davon erfahren haben will? Der deutsche Ku-Klux-Klan soll sich aufgelöst haben, nachdem das BfV und mehrere Landesämter im Jahr 2002 gegenüber den Mitgliedern sogenannte Gefährderansprachen vornahmen, sprich: Einschüchterungen. Seltsam allerdings, dass die Polizeibeamten im KKK davon ausgenommen wurden.
Untersuchungsausschuss für Baden-Württemberg?
Bettina Neumann, 51, war im LfV Baden-Württemberg 18 Jahre lang Leiterin des Referates „Rechtsextremismus“, von 1993 bis 2011. Ihr Auftritt vor dem Ausschuss lässt sich so zusammenfassen: Allgemein weiß sie alles – konkret nichts. Beispiel: die Karlsruher Rechtsanwältin Nicole Schneiders, die Verteidigerin des im Münchner NSU-Prozess angeklagten Ralf Wohlleben. Schneiders, Geburtsname Schäfer, stammt aus dem hohenlohischen Öhringen nahe Schwäbisch Hall und war während ihres Studiums in Jena zusammen mit Wohlleben in der NPD aktiv. Die Anwältin habe Szenekontakte in Rastatt und Karlsruhe gehabt, verrät die heutige Oberregierungsrätin Neumann, die inzwischen beim BfV in Köln tätig ist. Und Schneiders habe in der Szene Mandate übernommen. „Was sie konkret gemacht hat, weiß ich nicht.“ War die Anwältin etwa eine V-Frau des Verfassungsschutzes? Wie es von Ralf Wohlleben vermutet wird. Ein amtierender Bundesanwalt sah den Namen Wohlleben jedenfalls im Jahr 2003 auf einer Liste des BfV über V-Leute in NPD-Vorständen.
Fragen über Fragen, Fragen auch an die baden-württembergische Landesregierung und ihren sozialdemokratischen Innenminister. Bei den Grünen wird mittlerweile darüber nachgedacht, ob man deshalb nicht auch in Stuttgart einen Untersuchungsausschuss einsetzen soll.