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■ Londons Telefonzellen sollen sauber werdenEin „Card Boy“ vor Gericht

London (taz) – Der Kampf um die Sauberkeit von Londons Telefonzellen wird demnächst wohl vor dem Europäischen Gerichtshof ausgefochten. Es geht dabei um die phantasievoll illustrierten Visitenkarten der Prostituierten, die in den Telefonhäuschen für „eine harte Hand“ oder „eine babygerechte Behandlung inklusive Erwachsenenwindeln“ werben.

Ein Londoner Gericht hat vor kurzem den arbeitslosen Schauspieler Simon Binns verurteilt, weil er dabei ertappt worden ist, wie er diese Kärtchen in den Telefonzellen angebracht hatte. Die Begründung des Gerichts: Binns hatte die „Nebentätigkeit“ in seinem Antrag auf Sozialhilfe nicht angegeben. Der 34jährige beteuert jedoch, daß er keinen Penny erhalten habe, sondern lediglich einer Bekannten einen Gefallen tun wollte. „Ich gebe zu, daß Menschen die Karten beleidigend finden mögen“, sagt er, „aber ich finde zum Beispiel den internationalen Waffenhandel beleidigend.“

Binns wird bei seiner Klage von dem Englischen Kollektiv der Prostituierten unterstützt. Er glaubt, daß die Stadtverwaltung der englischen Hauptstadt eine konzertierte Aktion gegen Prostitution eingeläutet hat. Unter anderem werde Hausbesitzern empfohlen, die Mietverträge mit Prostituierten nicht zu verlängern. „Die Frauen werden dadurch gezwungen, wieder auf die Straße zu gehen, wo sie allen möglichen Gefahren ausgesetzt sind“, sagt Binns. „So gibt es zur Zeit wieder eine Mordserie an Prostituierten in London.“

Die Prostitution existiert in England in einer Grauzone. Zwar ist sie legal, jedoch darf man nicht davon leben oder Räumlichkeiten dafür zur Verfügung stellen. Binns setzt sich für die vollständige Legalisierung ein, damit die Frauen anderswo – zum Beispiel in Zeitschriften – werben können und nicht auf die Telefonzellen angewiesen sind. „Ich bin Schauspieler und habe viel Freizeit“, sagt Binns, „manche lassen sich vielleicht dafür bezahlen, daß sie die Karten aufhängen, aber ich habe kein Geld genommen.“

Ursprünglich hat man die „Card Boys“, wie die Jungs genannt werden, wegen Sachbeschädigung angeklagt, weil sie die Kärtchen festgeklebt hatten. Seit sie Tesafilm und Klebemasse verwenden, versuchen die Behörden, ihnen Umweltverschmutzung anzulasten – mit wenig Erfolg, da die Karten ja fein säuberlich an den Wänden der Telefonzellen haften.

Etwa 600 Zellen in der Innenstadt dienen als Werbeträger, gab British Telecom bekannt. Die Telefongesellschaft hat Privatfirmen mit der Beseitigung der Callgirl- Karten beauftragt. Das ist ein teures Unterfangen, denn jede Woche werden rund 50.000 Stück abgeräumt. Die Kommandos sind zu ihrem eigenen Schutz mit Walkie- talkies ausgerüstet, sie „säubern“ jede Zelle mehrmals täglich. Telecom wird inzwischen von der Bezirksverwaltung in Westminster in dem Kartenkrieg unterstützt: Die Behörde hat ebenfalls Reinigungspersonal angeheuert, das bisher 130.000 Karten erbeutet hat. „Wir handeln im Namen der Telefonkunden, Anwohner und Touristen“, behauptet Miles Young von der Stadtverwaltung. Ziel sei es, „diese Art von Werbung für die Prostituierten unwirtschaftlich zu machen“, sagt er.

Die Rechnung ist bisher nicht aufgegangen, obwohl der Kampf um die Telefonzellenwände für die Prostituierten kostspielig ist: Viele geben täglich hundert Pfund (rund 250 Mark) für Eigenwerbung aus. Die „Card Boys“ kassieren umgerechnet 40 Pfennige für jede Karte, die sie aufhängen. Manche lassen sich allerdings in „Naturalien“ bezahlen – oder hängen die Karten kostenlos als Freundschaftsdienst auf, wie Simon Binns. Ralf Sotscheck

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