Lisa Politt über 30 Jahre Kabarett: "Erhoben ist der Mittelfinger"
Anlässlich des 30jährigen Bestehens von Herrchens Frauchen erklärt Lisa Politt die Aufgaben des Kabaretts und seine besondere Didaktik.
taz: Frau Politt, nach 30 Jahren führen Sie das erste gemeinsame Stück „Fühlt Euch wie zuhause“ wieder auf. Wie fühlt sich das an?
Lisa Politt: Wir haben es immer mal wieder gespielt, einfach um zu gucken, ob das Stück uns zu der jeweiligen Zeit überhaupt noch was sagen will. Und ob wir noch in der Lage sind, den Text rauszufinden. Mit dem sportlichen Ehrgeiz, mit dem andere ihr Seniorenabzeichen im Sport immer wieder machen.
Spielen es noch so wie damals?
Es ist unser erstes Kind und mit 30 aus dem Gröbsten raus. Die Haltung, mit der wir es jetzt spielen, ist so ein bisschen etwas wie: abgehangener Humor. Dazu kommt eine leichte Wehmut in Erinnerung an die Zeiten, wie sie mal waren und womit man gemeint hat, die Welt zu verändern.
„Fühlt Euch wie zuhause“ ist viel wilder und anarchischer als das, was Sie heute machen.
Wir hatten ja keine Erfahrung, wie das ist, auf der Bühne ein Stück zu spielen. Wir haben unreflektiert Dinge einfach auf die Bühne gestellt. Zum Beispiel das Soldatenlied, das mein Vater mir als Kleinkind vorgesungen hat, wenn ich Angst hatte. Ich habe dann in vollkommen entsetzte Gesichter geguckt und in den Augen das Schockmoment wiedergefunden, das ich als Kind wohl hatte. Ich wusste dann aber nicht: Wie da rauskommen? Wir waren ja keine Schauspieler. Wir sind auf die Bühne gegangen, um die Welt zu verändern.
Hat sich das geändert?
Inhaltlich sind wir genauer geworden, auch in dem, was wir verbalisieren. Die Zuschauer machen das nicht mehr mit, die wollen bei der Premiere ein fertiges Stück sehen. Das hat Vorteile: Es schützt einen persönlich mehr als Uninszeniertes, es gibt eine Rolle, hinter der man sich zurückziehen kann. Eine Inszenierung hat ja auch den Sinn, den Schauspieler davor zu schützen, unvorbereitet in solche gefühlsmäßig hoch anstrengenden und spannenden Situationen zu schleudern.
57, hat gemeinsam mit ihrem Partner Gunter Schmidt 1984 die politische Kabarettgruppe Herrchens Frauchen gegründet. 1991 bekamen beide den Förderpreis des Deutschen Kleinkunstpreises, 2003 erhielt Lisa Politt als bislang einzige Frau den Deutschen Kabarettpreis, zwei Jahre später auch den Deutschen Kleinkunstpreis. Seit 2003 betreiben Herrchens Frauchen das Theater "Polittbüro" in Hamburg-St. Georg.
Ihr 30-jähriges Bestehen feiern Herrchens Frauchen jetzt mit drei "Festwochen"-Programmen: "Fühlt Euch wie zuhause", 1. bis 6. September; "Marika Rökk und ich - eine ZwangsVorstellung", 9. bis 13. September, und "DIE 7 TODSÜNDEN treffen sich auf der Eröffnungsfeier eines xbeliebigen Grossprojektes in einer nicht näher zu bezeichnenden Hansestadt", 6. bis 20., 23. bis 27. September.
Jeweils um 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45, Hamburg.
Bis heute müssen Sie sich den Vorwurf anhören, zu sehr mit dem erhobenen Zeigefinger zu arbeiten.
Ja, wobei ich immer Wert darauf lege, zu sagen: Das ist der Mittelfinger. Gestutzt habe ich mal sehr, als jemand unser Kabarett als undogmatisch bezeichnet hat. Das fand ich irgendwie zu postmodern für das, was ich vorhabe. Ich empfinde es auch bei Kollegen nicht als negativ, wenn sie belehrend sind. Wenn sich der Lehrer gut vorbereitet hat, wenn ich seinem Unterricht gern folge, dann ist das in Ordnung.
Das unterscheidet Ihr Kabarett von dem, was Sie Feierabendkabarett nennen: Wo man abends mal befreit lacht, ohne sein Denken ändern zu müssen.
Das erlebt der eine als positiv, dem anderen geht es auf die Nerven. Und ich weiß, dass ich alle Register habe, um anderen Leuten auf die Nerven zu gehen. Aber ich habe ein Ziel. Es ist wichtig, dass derjenige, der auf der Bühne etwas produziert, sich vorher Gedanken über die Zielrichtung gemacht hat – und man das dem Abend anmerkt.
Was ist denn das Ziel?
Emanzipationsbewegungen, aber nicht beschränkt auf das Mann-Frau-Verhältnis. Sonst wäre ich heute glücklich, dass wir eine Kanzlerin haben. Dass wir eine Kanzlerin haben und die Art und Weise, wie sie funktioniert, halte ich für das vollkommene Scheitern einer Emanzipation, die sich auf das Geschlechterverhältnis beschränkt. Also Gleichberechtigung grundsätzlich, von der Nationalität, vom Geschlecht, von der Religion unabhängig – am besten sowieso keine Religion.
Sie werden doch vor allem als Feministin wahrgenommen.
Ich bin wahrscheinlich die einzige Kabarettistin Deutschlands, die zum Weltfrauentag nicht engagiert ist. Das hat schon was zu sagen. Skandalös viele Gleichstellungsbeauftragte sind heute ja Männer aus der CDU. Das beißt sich also überhaupt nicht. Deshalb kommt es gelegentlich vor, dass irgendein Stadtkämmerer oder Kulturbeauftragte einer Stadt mich versehentlich engagiert, weil er denkt: Die hat die Preise und das ist eine Frau.
Aber?
In dem Moment, wo er mitkriegt, was für linksradikalen Dreck ich mache, versucht er verzweifelt, mich wieder auszuladen. Wir haben damit schon eine gewisse Übung, lassen uns den Auftrag gleich per Fax bestätigen. Wenn wir ausgeladen werden sollen, ziehen wir zumindest die Knete. Ist ja alles für einen guten Zweck, 100 Prozent der Einnahmen gehen direkt an den Künstler.
Das hätten Sie vor 30 Jahren noch nicht gemacht.
Das wäre uns vor 30 Jahren auch nicht passiert. Es gab diese Sollbruchstelle zwischen dem, was wir mal geglaubt haben, auf der persönlichen Ebene zeigen zu können, und der Wirksamkeit, die es in der größeren gesellschaftlichen Struktur hätte. Wir sind für den Weltfrauentag mal engagiert worden von einer Fraktion irgendwo im Speckgürtel Hamburgs. Eine Frau am Telefon sagte: Wir sind froh, die Männer der anderen Fraktion waren alle gegen uns. Wir sind nicht auf den Gedanken gekommen, dass es sich um eine reine Frauenfraktion der CDU handelt. Der Schock war groß, als wir dann voreinander im Rathaus saßen.
Sie sind die einzige Frau, die den Kleinkunst- und den Kabarettpreis gewonnen hat. Ist das Kabarett eine Männerwelt?
Funktion des Kabaretts ist es, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu reproduzieren und nicht, ihnen zu widersprechen. Wenn man wie ich der These anhängt, dass das grundsätzliche hierarchische Einordnen des Individuums immer auch etwas mit der Betrachtung des Geschlechterverhältnisses bei den Eltern zu tun hat, dann hat die Wahrnehmung, wie eine Frau sich äußert und wie ein Mann sich äußert, höchste Relevanz. In einer Gesellschaft, die sich gerade wieder darüber verständigt, dass jemand, der gegen Kriegseinsätze ist, feige ist oder eine Memme: Dann muss die Frau am Herd stehen und der Mann ins Feld.
Ist es noch ein Antrieb für Sie, Ihre Eltern so erlebt zu haben?
Ich habe früher für das, was ich gesagt habe, Ohrfeigen gekriegt, heute kriege ich Geld. Für mich persönlich ist das schon mal ein guter Tausch. Ich bin geschult an den endlosen Monologen, in die mein Vater mich verwickelt hat.
Und Ihre Mutter?
Meine Mutter fand das so lange interessant, wie sie selbst nicht dadurch gefährdet wurde. Satirisch bin ich also an meiner Mutter geschult. Für sie musste der Unterhaltungswert einer aufrührerischen Aussage immer so hoch sein, dass sie gelacht hat, bevor sie gemerkt hat, was ich inhaltlich gesagt habe.
Das klingt schon ein wenig nach Herrchens Frauchen.
Vielleicht war meine Mutter das relevantere – nee, Role Model war sie dann ja nicht, sondern komplementär, also …
… eher ein Side-Kick? So wie jetzt Gunter Schmidt?
Ja, wobei Gunter mir grundsätzlich wohlgesonnerer ist. Bei meiner Mutter musste ich immer sicher sein, dass sie lacht und ich schnell genug bin, falls doch eine Ohrfeige gesegelt kommt.
Sie sind im kleinen Heidedorf Bomlitz großgeworden. Wie hat Sie das geprägt?
Bomlitz hatte im Nationalsozialismus eine der kriegswichtigsten unterirdischen Munitionsfabriken. Es gab viele Zwangsarbeiter, die für alle sichtbar durchs Dorf getrieben worden sind. Die Notwendigkeit, das zu leugen, war ganz anders sanktioniert als woanders. Das hat sich erhalten wie so vieles, was weiterexistiert, weil es nicht bearbeitet wird.
Haben Sie deshalb dann Psychologie studiert?
Wenn man die Augen nicht zugemacht hat, weil es gar nicht anders ging, und sich mit den anderen Versprengten in Bomlitz verbündet hat, hatte man das brennende Bedürfnis, das Ganze zu verstehen und etwas zu verändern an dieser faschistischen Kontinuität. Um dem, was wir erlebt haben, etwas entgegensetzen zu können. Dann war man schnell bei der Frankfurter Schule. Es war also nicht ausschließlich Psychologie, sondern auch Soziologie, ich habe beides studiert.
Und sogar eine Doktorarbeit angefangen.
Das habe ich dann aber sein gelassen, weil ich gedacht habe: Jetzt gehe mit Herrn Schmidt auf Tour und habe ein Kind, man sollte eines von beiden lassen. Gott sei Dank, sage ich heute. Vielleicht packt es mich noch mal, wenn ich 60 werde.
Und die Frage beantworten Sie seitdem auf der Bühne.
Ich bearbeite meine Hauptfrage mit anderen Mitteln. Damals habe ich fast angefangen zu heulen, weil ich als Kabarettistin nicht ganz ernst genommen wurde und unter den freien Schauspielern als diejenige galt, die zu verkopft war. Ich saß tatsächlich zwischen den Stühlen. Dass es mir dann auch noch misslungen ist, dem glaubhaft Ausdruck zu verleihen und stattdessen irgendwie auf die Fresse zu fallen, war für mich Unglück – für die anderen wahrscheinlich lustig.
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