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Archiv-Artikel

Linksregierungen in Lateinamerika

betr.: „Aus Verzweiflung links“, taz vom 27. 1. 05

Toni Keppeler führt in seinem Artikel treffend aus, dass linke Regierungen und Präsidenten in Lateinamerika in vielen Fällen an die Macht kamen, als das traditionelle Parteiensystem abgewirtschaftet hatte oder zerfiel. Seinen Pessimismus bezüglich der meisten Linksregierungen teile ich jedoch nicht. Sicher hat sich Ecuadors Präsident Gutiérrez als politischer Wendehals erwiesen, und sicher nutzt Lula seine Spielräume in Brasilien nur sehr begrenzt. Speziell im Fall Brasilien und in Chile muss man jedoch berücksichtigen, dass die Präsidenten heterogenen Koalitionen vorstehen und daher Kompromisse schließen müssen. Präsident Kirchner hat es in Argentinien geschafft, die größten sozialen Härten für die Bevölkerung nach dem Staatsbankrott 2001 abzufedern, und eine drohende soziale Explosion am Río de la Plata verhindert.

Schließlich ist es Hugo Chávez in Venezuela gelungen, erstmals in der Geschichte des Landes, und dies gegen beträchtliche Widerstände sowohl von außen (US-Regierung, Aznar-Regierung in Spanien) als auch durch die alten nationalen Machteliten, eine Politik zu machen, die die Interessen der breiten Bevölkerung ernst nimmt und soziale Verbesserungen in den Mittelpunkt stellt. Chávez geht sicherlich weiter als Lula oder Lagos, doch waren die venezolanischen Eliten auch noch korrupter und verbrauchter als in anderen lateinamerikanischen Ländern. Die Bevölkerung hat Chávez’ Politik in mehreren Wahlen und Referenden stets demokratisch legitimiert und ihm ein eindeutiges Mandat erteilt. Es bleibt abzuwarten, wo Präsident Vázquez (Uruguay) und vielleicht Evo Morales in Bolivien ab 2006 ihre Prioritäten setzen.

Eine sozialere Politik in Lateinamerika ist möglich, ob mit vorsichtigen Schritten wie in Brasilien und Chile oder mutiger wie in Venezuela. Die Linke ist nun an der Reihe zu beweisen, dass sie soziale Fortschritte für die Bürger erreichen kann. Gelingt ihr dies, ist mir um die politische und wirtschaftliche Stabilität in der Region nicht bange. DENNIS WOISCHNECK, Hamburg

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