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Archiv-Artikel

Linkspartei will Neoliberalismus weichspülen Im Rhythmus der linken Poesie

„Stoppt den …“, „Nieder mit …“ und „Vorwärts gegen …“ sind von jeher beliebte Rhythmen der Linken – auf der Straße und in den Parlamenten. So haben Oskar Lafontaine und Gregor Gysi den alten Takt getroffen, als sie am vergangenen Wochenende „gegen die große Koalition des Sozialabbaus“ trommelten und die Revision der Arbeitsmarktreform Hartz IV verlangten. Bei Auftritten dieser Art gefallen sich die Solisten in ihrer linken Pose. Man klingt radikal, doch eigentlich ist man es nicht.

Das 100-Tage-Programm der Linkspartei unterscheidet sich nur in Nuancen von der herrschenden Lehre. Die Forderung nach einem deutschen Mindestlohn in Höhe von 1.400 Euro ist durchaus realistisch, wenn sie auch um 200 Euro zu hoch gegriffen erscheint. Das als „neoliberal“ verschriene Großbritannien gesteht seinen Beschäftigten minimal 1.226 Euro pro Monat zu, 1.265 Euro haben die als reformierter Musterstaat bekannten Niederlande festgesetzt. Auch das 30-Milliarden-Programm für öffentliche Investitionen kommt radikal daher, findet sich aber schon seit langem in den Reden des Deutschen Städtetags. Makroökonom Lafontaine redet hier über anderthalb Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung – ein bisschen wenig, um der Erwerbslosigkeit grundsätzlich an die Wurzeln zu gehen.

Was soll die Aufregung? Erstaunlich an diesem Programm nimmt sich aus, wie breit die Mittelströmung des politischen Spektrums schon geworden ist. Wenngleich die Linkspartei gegen den Neoliberalismus wettert, hat sie sich mit seiner Wirklichkeit längst arrangiert. Es ist wie in der Eiszeit: Auf die Erde drückt noch der glaziale Panzer, aber das Tauwasser fließt in der Tiefe. Die Linkspartei ist nur vom Gestus her eine radikale Opposition. Ihr Programm ist das einer Regierungspartei im Wartestand. Wer einen Blick in die Zukunft wagen möchte, sollte den Pragmatismus eines Harald Wolff studieren, der in Berlin als PDS-Wirtschaftssenator amtiert. Sparen, bis die Knochen brechen: Das politische Ost-Modell der Berliner Koalition aus SPD und PDS kommt den Vorstellungen von Angela Merkel schon ziemlich nahe. HANNES KOCH