Linkspartei: Erst Einheit, dann Klarheit : KOMMENTAR VON CHRISTIAN SEMLER
Für die neue Linkspartei hatte das Gros der veröffentlichten Meinungen in den vergangenen Tagen eine Art journalistische Falle aufgestellt. Ging es turbulent zu, wie im Vorfeld der Kandidatenaufstellung, so war klar, dass hier die typisch linke Zerstrittenheit triumphierte, dass Politikunfähigkeit der neuen Partei auf die Stirn geschrieben stand. Herrschte aber Einmütigkeit, wie am vergangenen Wochenende bei den Parteitagen der Linkspartei, so gilt es jetzt als ausgemacht, dass eine überlegene Regie Geschlossenheit verordnete und damit klärende Diskussionen blockierte.
Tatsächlich hat die linke Allianz von PDS und WASG gut daran getan, sich vorerst mit einem Nein zur Schröder’schen Konterreform und einem Bekenntnis zu den Grundlagen des Sozialstaats als gemeinsamer Wahlbasis zu begnügen. Karl Liebknechts „Erst Klarheit, dann Einheit“ passt nicht zu einer Situation, in der die Chance besteht, einer reformerischen Linken überhaupt zum Ausdruck im politischen Raum zu verhelfen.
Von einem gemeinsamen bereits existierenden linken Projekt zu sprechen, wie Lothar Bisky dies am Wochenende tat, erscheint allerdings reichlich verfrüht. Denn im Begriff des „linken Projekts“ ist eine gemeinsame Reformstrategie ebenso eingeschlossen wie eine gemeinsame Vorstellung von einer zukünftigen gerechten Gesellschaftsordnung. Ohne ein solches Projekt kann die Linke politisch nicht existieren. Aber wer sagt, dass die Chancen für diesen politischen Klärungsprozess nach einer gewonnenen Wahl ungünstiger wären? Dies träfe nur zu, wenn die Linkspartei in eine rot-grüne Koalition eintreten würde. Ziemlich unwahrscheinlich.
Über eine Frage allerdings muss bald Klarheit geschaffen werden: über Oskar Lafontaines Einschätzung des rechtsradikalen Wählerpotenzials als irregeleitete, verzweifelte Menschen, denen es „ein Angebot zu machen“ gelte. Klar, dass zwischen den rechtsradikalen Führern und ihrem Massenanhang differenziert werden muss. Aber ebenso muss Klarheit darüber herrschen, worin das „Angebot“ Lafontaines bestehen soll. Hier gibt es einschlägige negative Erfahrungen aus der Zeit vor 1933.