■ Liga Nord: Mangelndes Gefühl für Demokratie und Liberalität: Haudrauf-Mentalität
Autonomie, Föderalismus, Sezessionismus – drei sich steigernde Vokabeln. Angst machen sie vor allem den „Zentralisten“, jenen Leuten, die sich nur von einem straff gelenkten Staat ihr Heil erhoffen. Daß es solche Heilsbringer-Zentralen heute nicht mehr gibt, vielleicht nie gegeben hat, sollte aber klar sein. Kein großer Staat, nicht mal die USA, kann sich heute irgendwelcher Mittel rühmen, mit denen er alle seine Bürger zufriedenstellt. Der wirtschaftliche Reichtum oder die wirtschaftliche Armut provozieren gleichermaßen die Tendenz, sich voneinander zu trennen; das ist wie in Familien, wo sich Frau und Mann unter bestimmten ökonomischen Bedingungen getroffen haben und auseinandergehen, wenn diese sich grundlegend geändert haben.
Doch die Frage ist nicht, ob sich marode Nationalstaaten auflösen. Viel wichtiger wäre, zu fragen, was denn dann in diesen einzelnen Staaten geschieht. Und da wird einem angst und bange. Ich selbst gehöre zu den frühen Anhängern einer Unabhängigkeitsbewegung in Oberitalien, habe mich allerdings längst davon getrennt. Nicht, weil mir die Idee einer Aufspaltung Italiens nicht mehr gefiele — im Gegenteil, ich halte sie noch immer für besser als das Weiterwursteln, das mittlerweile auch die neue Regierung wieder zeigt. Aber ich habe mich von Bossi und Konsorten in der Liga Nord getrennt, weil ich gesehen und gefühlt habe, welche Art von Regiment uns droht, wenn diese Herrschaften einmal die Macht übernehmen sollten. „Einer für alle, alle für einen“, hat Liga-Chef Umberto Bossi anläßlich der Vereidigung seiner „Poebenen-Regierung“ gebrüllt, ein Spruch, der in Hitlers Zeiten auf allen Münzenrändern stand. Wenig später hat er Journalisten, die ihm nicht paßten, hinauswerfen lassen. Und seinen Anhängern hat er gar eine Uniform verpaßt, grün in der Farbe, im Zuschnitt aber ganz den schwarzen Hemden der Faschisten ähnlich.
Hier sollten wir also zuerst ansetzen. Mir kommen die Sprüche unserer Politiker wie etwa „Italien ist unteilbar“ geradezu lächerlich vor. Wenn der Norden es satt hat, Rom und den Süden zu alimentieren, wird ihm die Einheit gleichgültig sein. Auch der Appell des Notenbankpräsidenten Fazio, der Norden könne durch Sezession nur verlieren, weil der arme Süden dann für Investitionen viel attraktiver werde als die Poebene, wird nicht ziehen. Das einzige, wovon ich mir etwas erhoffe, wäre, wenn die Sezessionisten klar sehen würden, was sie intern von Sezessionisten dieser Art erwartet: Unduldsamkeit, Haudrauf- Mentalität, mangelndes Gefühl für Demokratie und Liberalität. Also genau das Gegenteil dessen, was sie sich von einer Herauslösung aus dem Zentralstaat erhoffen. Bernardo Giuffre
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